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Sommernachtsschrei

Sommernachtsschrei

Titel: Sommernachtsschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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Handbewegung. »Aber nur, wenn du willst… nicht dass du glaubst, ich…«
    Was? Was soll ich nicht glauben? Dass er einer ist, der Mädchen verschleppt und sie vergewaltigt? Dass er ein Mörder ist? Ich gebe einen unverständlichen Laut von mir, der eigentlich ein Lachen sein soll.
    »Ich heiße Michael.« Er reicht mir die Hand und ich nehme sie und lasse mich von ihm nach oben ziehen.
    Meine Beine sind weich wie Gummi und in meinem Kopf wabert Gelee. Ich halte seine Hand noch immer fest. Man sagt doch, dass man am Händedruck einschätzen kann, wie ein Mensch ist. Seine Hand fühlt sich warm und ganz weich an, ich kann sie kaum fassen – ist das ein schlechtes Zeichen?
    Was grüble ich eigentlich? Eigentlich ist es doch egal, was mit mir passiert. »Ich hab keinen Hunger.« Wieso auch, ich hab doch auf der Party Würstchen gegessen.
    »Wenigstens einen Kaffee oder Tee? Zum Aufwärmen? Der nächste Zug nach Berlin geht erst morgen früh.«
    Das hab ich jetzt davon. Wieso überhaupt Berlin? »Ich will lieber auf den Mond oder hierbleiben«, sage ich, aber er reagiert nicht. »Von mir aus, ’ne Kleinigkeit zu essen«, sage ich und ich weiß, dass es klingt, als tue ich ihm damit einen Gefallen. Dabei will ich gar nicht weg. Ich bin doch im Bootshaus. Und gerade habe ich Maurice geküsst.
    »Dann komm, mein Auto steht gleich am Ausgang.« Er lässt meine Hand los und dreht sich um.
    Er trägt braune Breitkordhosen und Halbschuhe, über die Anzugjacke hat er noch einen Parka gezogen. Sieht so ein Verbrecher aus?
    Und ich? Sieht so eine Mörderin aus?
    Auf einmal wünsche ich mir, dass er ein Mörder ist. Wäre es nicht meine gerechte Strafe, umgebracht zu werden? Langsam wird mir alles klar… Das alles ist kein Zufall! Ich sollte diesem Mann begegnen, weil er mein Urteil vollstrecken wird!
    »Alles in Ordnung?« Er hat sich zu mir umgedreht. »Gib mir doch deine Tasche.«
    Er ist mein Richter und mein Henker. Ich lächle und gebe ihm, was er verlangt hat.
    Im Auto ist es warm und riecht nach Leder und süßen Kaugummis. Es ist ein Audi oder ein Opel, so genau kann ich das in der Dunkelheit nicht erkennen, eigentlich ist es ja auch nicht wichtig, aber ich bin auf einmal ganz wach, weil ich mitkriegen will, wie es passieren wird. Wie mein Urteil vollstreckt wird.
    »Schnall dich an!«, sagt er und lächelt freundlich.
    Ich tue, was er sagt. Er startet den Motor und fährt los.
    »Ganz schön blöd, wenn einem der Zug vor der Nase wegfährt«, sagt er, »ist mir auch schon mal passiert. Leider musste ich dann stundenlang auf dem kalten Bahnsteig warten.«
    »Meistens gibt’s ja beheizte Warteräume«, entgegne ich.
    »Da nicht.« Er wirft einen kurzen Seitenblick auf mich. »Machst du das öfter?«
    »Was?«
    »Trinken und Züge verpassen?«
    »Bist du Therapeut oder so was?« Ich kenne diese Masche aus dem Gefängnis. Zuerst tun sie, als seien sie deine Freunde, dann fangen sie an, diese Fragen zu stellen, denken, man merkt es nicht.
    Er lacht auf. »Nein. War nur so ’ne Frage.«
    Ich rede nicht weiter. Das Gespräch langweilt mich.
    »Willst du zu einer Freundin?«, fragt er dann.
    »Wieso?«, frage ich verwundert. Wie kommt er darauf?
    »Oder zu deinem Freund?«
    Ich sehe zu ihm rüber. Im Schatten sehe ich nur unklar sein Profil. Er hat eine leichte Himmelfahrtsnase, das mag ich überhaupt nicht bei Männern.
    »Ich will dich nicht aushorchen. Wollte mich nur ein bisschen mit dir unterhalten.«
    Ich schweige. So leicht mache ich es ihm nicht. Soll er sich jetzt ruhig ein bisschen anstrengen. Wo wird es passieren? Auf einer abgelegenen Autobahnraststätte oder in einem Waldweg?
    Erst nach einer Weile fängt er wieder an. »Bist du eigentlich schon achtzehn?«
    Das fällt ihm ja früh ein, denke ich. »Nö. Aber bald.«
    »He, da darf ich dich ja eigentlich gar nicht mitnehmen. Wenn wir von der Polizei angehalten werden, musst du sagen, dass du eine Freundin meiner Tochter bist und ich dich heimfahre.«
    So ein Schwachsinn, denke ich.
    »Kapiert?«, fragt er. In seiner Stimme schwingt auf einmal Unruhe mit.
    Ich tue ihm den Gefallen und sage Ja.
    »Als ich so alt war wie du, bin ich durch Europa getrampt«, fährt er fort.
    »Toll«, sage ich wenig begeistert, was ihn aber nicht abhält weiterzuquatschen.
    »Zuerst ging’s nach Italien und Sizilien und von dort nach Griechenland, da wollte ich unbedingt…«
    Die Schallwellen seiner Stimme wabern durch den Innenraum, ich stelle meine Ohren auf Durchzug, dieses

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