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Sommernachtsschrei

Sommernachtsschrei

Titel: Sommernachtsschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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stattfindet. Aber was will er jetzt hier, mitten in der Nacht?
    Er kommt auf die Tür zu, es ist zu spät, um rauszulaufen. Und einen anderen Ausgang gibt es nicht.
    Panik steigt in mir auf, als ich nach einem Versteck suche. Ich wühle mich unters Heu. Halte die Luft an. Lieber Gott, lass ihn nicht reinkommen, lass ihn wieder weggehen! Ich denke an den Typ am Bahnhof… Nicht noch mal dieser Albtraum, bitte!
    Zwischen den Strohhalmen hindurch linse ich zur Tür. Höre schwere, wankende Schritte auf Holz. Rumpeln an der Tür, dann ein Quietschen der Scharniere. Zu spät, die Tür geht auf.
    »Verfluchte Scheiße!«, brüllt er. »Diese blöde Kuh! Gibt’s so was? So ein falsches Biest! Ich dreh ihr den Hals um!« Er schreit und versetzt den Heuballen Tritte. Ich mache mich so klein ich kann. Hoffentlich sieht er mich nicht, bete ich, bitte lass ihn gehen, sofort…
    Er schreit und brüllt und durch einen kleinen Sehschlitz kann ich erkennen, dass er sich die Haare rauft, ja mit beiden Händen an ihnen reißt. Sein Pferdeschwanz löst sich und die langen Haare fallen in Strähnen über seine Schultern, während er laut fluchend gegen die Heuballen und die Wände tritt. Er nimmt noch die ganze Hütte auseinander, wenn er so weitermacht! Er ist völlig außer sich. Seine Alkoholfahne dringt bis zu mir ins Heu.
    Wenn er mich jetzt hier finden würde… ich will gar nicht weiterdenken. Dennoch sehe ich vor mir, wie er seinem Freund im Streit den Kopf an einem Baumstamm zermalmt. Seine schweren Lederstiefel malträtieren die Heuballen.
    »Diese Schlange, diese Schlampe! Na warte, dir werd ich’s noch zeigen! Mit mir nicht, Nicole! Merk dir das! Du falsches Luder!« Er rammt seinen Kopf gegen die Tür, immer und immer wieder, bis er zusammenbricht, auf die Knie sinkt und heult.
    Hoffentlich schläft er nicht ein, denke ich nur und erschrecke über meine Kaltherzigkeit. Die pure Verzweiflung hat ihn hierhergetrieben. Wahrscheinlich hat ihn seine Freundin verlassen. Warum regt sich in mir kein Mitleid? Ich bin einfach nur starr vor Angst, vor Erschöpfung und vor Traurigkeit. Wenn er wüsste, dass ich ihn bei seinem ganz privaten Tobsuchtsanfall beobachte…
    Er dreht sich um und in dem Moment blitzt etwas auf seinem Rücken auf. Ein Blitz, ein Schwert…? Ein… ja, was? Es ist ein Déjà-vu, als ob ich noch einmal im Bootshaus wäre… Beinahe vergesse ich, mich weiter zu ducken… endlich stolpert er fluchend hinaus. Kurz darauf höre ich den Motor aufheulen, dann schießt das Auto davon, das Motorengeräusch entfernt sich, bis es schließlich nicht mehr zu hören ist.
    Ich zähle bis fünfzig, dann erst wage ich, mich zu regen, schüttle das Heu von mir und hocke mich auf einen Ballen am Fenster. Durch die beschlagene Scheibe schimmert blass der Mond.
    Etwas auf seiner Lederjacke hat reflektiert, ganz eindeutig. Ein silbriges Zeichen. Ein Bild… ein Emblem… es war ein Adler… kein Pferd… Wieso komme ich auf Pferd? Ich will weiterdenken, doch meine Gedanken lösen sich auf, werden von meiner Müdigkeit aufgefressen wie Zuckerwattefäden – ein Gedanke nach dem anderen, bis nichts mehr da ist, nur noch leere Finsternis.

20
    Es ist das Vogelzwitschern, das mich weckt, und als ich aus meinem Versteck krieche, mir das Heu aus den Kleidern klopfe, sehe ich durchs Fenster, dass der Himmel schon ein bisschen orange geworden ist. Ich hab wirklich in diesem Heuschober geschlafen.
    Die Ereignisse der vergangenen Nacht erscheinen mir, als hätte ich sie in einem anderen Leben erlebt, und doch kann ich mich an alle Details erinnern. Zweimal bin ich in dieser Nacht einer Katastrophe entkommen. Sind das nicht Zeichen, dass ich endlich fahren soll?
    Ich glaube schon lange nicht mehr an Gott. Von unserer Familie will nur meine Mutter mal an Weihnachten in die Kirche. Weil es da so schön feierlich ist. Und hin und wieder sagt sie mit einem schuldigen Gesichtsausdruck, dass man seinem Schöpfer doch danken sollte für das, was man hat, und zufrieden sein sollte. Mein Vater zuckt daraufhin höchstens die Schultern.
    Die Hand am Türriegel, drehe ich mich noch einmal um. Ein so kleiner Raum – was hätte Franz Niederreiter gemacht, wenn er mich entdeckt hätte?
    Ich ziehe die Tür auf. Feuchte würzige Morgenluft legt sich wie ein Schleier auf mein Gesicht. Heute Abend steigt die Party.
    Ohne mich. Ich muss nach Hause.
    Hunger meldet sich. Kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich zuletzt was gegessen habe. Diesmal gehe ich

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