Sommernachtsschrei
Schlüssels, wenn abends die Zelle verschlossen wird, rieche das billige Parfüm meiner Mitinsassin… und dann sage ich es doch: »Ja, verdammt!«
Vivian tauscht mit Leonie einen Blick, nickt. »Gut. Wir wollten dich damit verschonen, aber jetzt müssen wir es dir wohl sagen.«
»Was?« Was zum Teufel meint sie damit? Hilfe suchend sehe ich Leonie an, doch sie weicht meinem Blick aus.
Vivian räuspert sich. »Nadia.«
Leonie zuckt zusammen.
»Nadia?«, frage ich. »Was ist mit…«
»Sie hat am Bootshaus gestanden, mit einem Jungen gekifft – und… na ja, sie hat euch gesehen – und gehört.«
»Was?« Ich kann es nicht fassen. »Leonie, du hast das die ganze Zeit gewusst?«
Leonie starrt mich an, das Eis ist über ihre Hände gelaufen und tropft auf den Boden.
»Wir haben ihr eingeschärft, nichts zu sagen, weil du damit geliefert wärst«, erklärt Vivian. »Sie hat sich dran gehalten.«
»Sie hatte ganz schön Angst, dass Winter und seine Leute anfangen, blöde Fragen zu stellen«, schaltet sich nun Leonie ein.
Vivian nickt. »Ihr habt euch gestritten. Dann hat’s geknallt.« Sie legt mir ihren Arm um die Schulter. »Du warst stinksauer – zu Recht, wie du ja jetzt auch weißt! Und dann ist es passiert! Leonie, es war ein Unfall!«
Ich fühle mich tot.
»Nadia hat dir helfen wollen, Ziska!« Vivian sieht mich mitfühlend an. »Ich glaube, im Gefängnis haben sie dir ausgetrieben, an das Gute im Menschen zu glauben.«
Der Kloß in meinem Hals ist so dick geworden, dass mir Tränen in die Augen steigen. Ich schlucke und habe das Gefühl, dass ich keine Luft mehr bekomme. Was soll ich jetzt bloß tun? Einfach nach Hause fahren und alles auf sich beruhen lassen? Bis zu meinem Lebensende ein düsteres Geheimnis mit mir herumtragen? Oder soll ich mich stellen und für meine Tat büßen? In mir regt sich der altbekannte Widerstand. Ich will es nicht getan haben. Was ist mit Claude und was mit Benjamins Theorie?
»Ich will mit Nadia reden! Sie soll mir noch einmal alles erzählen!«
»Ziska!«, schreit Leonie auf, »weißt du, wie lang sie gebraucht hat, das alles zu verdauen? Außerdem war sie die ganze Zeit über selbstmordgefährdet! Und da kommst du nach einem Jahr und willst alles wieder aufwühlen? Keine Chance, Ziska! No way!« Wutentbrannt sieht sie mich an.
Von den zwei besetzten Tischen des Venezias sehen wieder zwei Pärchen zu uns herüber.
»Okay!«, versuche ich sie zu beruhigen, »ich hab’s ja kapiert. Ich werde Nadia in Ruhe lassen. Winter hat mir sowieso gesagt, dass es keine weiteren Ermittlungen gibt.«
»Ach, wirklich?«, fragt Vivian erstaunt.
»Dann… dann kommst du nicht wieder ins Gefängnis?«
Ich schüttle den Kopf. »Sieht nicht danach aus.«
»Aber Ziska!«, ruft Leonie aus, »warum hörst du dann nicht endlich auf, dich zu quälen! Fahr heim, genieß dein Leben!«
Als ob das so einfach wäre. »Ich kann nicht«, sage ich.
»Wie, du kannst nicht? Mann, stell dich doch nicht so an!«
»Da ist noch immer dieses schwarze Loch in meinen Erinnerungen…«
Vivian kratzt sich den Kopf. Ihr abstehendes Haar sieht heute aus, als hätte sie einen roten Igel aufgesetzt.
»Und, wie soll’s jetzt weitergehen?«
»Ich muss noch einen Besuch machen«, sage ich langsam. Es ist mir eben erst eingefallen. Die beiden sehen mich skeptisch an. Sie halten mich für neurotisch.
»Ich muss zu Ritter«, sage ich tapfer.
»Zu dem?«, ruft Leonie aus und Vivians Blick verdüstert sich. »Wieso zu Ritter? Zu ihm hast du als Erstem gesagt, dass du es warst! Du bist ja total masochistisch drauf!«
Ich zucke die Schultern. »Ich will es einfach noch mal von ihm hören.«
»Wieso? Denkst du, ihm fällt plötzlich ein, dass du doch was anderes zu ihm gesagt hast?«, fragt Vivian.
»Nein, es ist nur… versteht doch, ich will mich an jedes Detail erinnern.«
»Du spinnst ja! Echt!«, sagt Leonie mit schmalen Lippen. »Du kannst einfach nicht aufhören! Du ziehst dich immer tiefer rein!«
Vivian schüttelt den Kopf. »Dir ist nicht zu helfen, Ziska! Komm, Leonie«, Vivian dreht sich um, »unsere Reitstunde fängt gleich an.«
»Moment noch!« Leonie fasst mich am Oberarm. »Geh zu Ritter, mach, was du willst, aber lass Nadia aus dem Spiel.«
Ich nicke. »Ja, natürlich.«
Prüfend sieht sie mir in die Augen. »Bestimmt«, bestätige ich.
»Gut.« Erst jetzt lässt sie meinen Arm los.
Ich sehe ihnen hinterher. Es tut mir weh, sie so zu enttäuschen. Ich weiß, dass sie zu mir
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