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Sommernachtsschrei

Sommernachtsschrei

Titel: Sommernachtsschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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meiner Stirn und die an meinem Hinterkopf taten weh, aber sie konnten doch nicht allein der Grund dafür sein, dass ich alles vergessen hatte?
    »Du weißt nicht mehr, ob ihr in ein Boot gestiegen und auf den See hinausgerudert seid?«, fragte der Kommissar ungläubig. Seine Augen waren kalt und hart. Ich habe noch nie jemanden mit solchen Augen gesehen. Noch nicht mal im Fernsehen.
    »Nein…«, sagte ich und merkte, wie meine Stimme zitterte.
    »Was habt ihr dann im Bootshaus gemacht?«, fragte er.
    Ja, was haben wir gemacht? Ich starrte auf die Hände des Kommissars. Sie waren groß und braun und behaart und der Kugelschreiber, mit dem sie spielten, war viel zu dünn und zerbrechlich für diese Hände.
    »Und?«, drängte er.
    Maurice’ Nacken, sein Geruch, seine Lippen, sein Kuss.
    »Wir haben…« Ich stockte, wollte diesem fremden, kaltherzigen Mann da nicht das Schönste, Wichtigste anvertrauen. Er würde es kaputt machen, zerreißen, in den Schmutz zerren. Ich wollte es für mich behalten, bewahren, damit es mir niemand nehmen konnte.
    Winter beugte sich weiter über den Schreibtisch zu mir. »Ihr habt… was?«
    Ich schluckte. Nein, ich sage es ihm nicht. »Wir haben geredet.«
    Ein falsches Lächeln flog über sein Adlergesicht. »Geredet. Verrätst du uns auch, worüber?«
    »Über… über den Song davor, auf der Bühne… Den Song, den ich auf der Bühne gesungen habe.« Jedes Wort brachte mir ein Stück Erinnerung zurück. Der Song. Die Bühne. Der Drink. Die Pillen. Die Wiese.
    »Und dazu seid ihr ins Bootshaus gegangen?«
    Das Bootshaus. Das Boot. Das Ruder…
    »Ja. Wir wollten ja über den See rudern.«
    »Kann es sein, dass… dass Maurice zudringlich geworden ist?«
    »Was?« Was sollte dieser Quatsch?
    Die Assistentin in meinem Rücken schaltete sich ein. »Er wollte vielleicht was von dir, dich küssen? Sex?«
    Ich drehte mich zu ihr um. »Nein!«, sagte ich viel, viel zu laut. Den Kuss würde ich mir nicht nehmen lassen. Niemals! Ich atmete tief durch und sagte: »Wir haben geredet. Das war alles.« Ich wartete darauf, dass auch dies in meiner Erinnerung Wirklichkeit würde, aber es geschah nicht. Wir haben nicht geredet. Oder doch?
    »Okay«, beschwichtigte Winter. »Er wollte also keinen Sex, keinen Kuss.« Er machte eine Pause und starrte mich an, als wollte er mit seinem Blick in mein Gehirn eindringen. Seine Finger spielten mit dem zerbrechlichen Kuli. »Herr Schneidbrenner – also der Vater von Maurice – wollte euren Pachtvertrag vorzeitig auflösen.«
    Er starrte mich abwartend an, doch da ich seinem Blick scheinbar völlig verständnislos begegnete, fuhr er fort.
    »Nun, ihm gehört schließlich das Grundstück mit der Tankstelle und dem Haus, das deine Eltern gemietet haben. Er wollte ein Gesundheitszentrum dort hinstellen. Ich kann mir vorstellen, dass dich das ganz schön wütend gemacht hat. Vielleicht wolltest du Maurice ja damit konfrontieren und hast…«
    »Davon weiß ich nichts«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
    »Nein? Hat dir dein Vater nichts davon gesagt? Hm. Das ist doch eine ernste Familienangelegenheit, also ich würde meiner Tochter…«
    »Er hat mir aber nichts gesagt!«, schrie ich und er verstummte. »Woher wollen Sie überhaupt wissen, dass Schneidbrenner den Pachtvertrag mit meinem Vater auflösen will?«, hörte ich mich fragen.
    Er ignorierte meine Frage. »Okay, dein Vater hat dir also nichts gesagt«, fuhr er unbeirrt fort. »Nehmen wir mal an, ihr habt über andere Mädchen geredet, Freundinnen. Maurice war ein attraktiver, gut aussehender Junge. Du warst bestimmt nicht die Einzige, mit der er was hatte. Du bist wütend geworden und dann…« Er sah kurz auf, als ein Mitarbeiter ihm einen Zettel brachte, hob die Augenbrauen und schickte ihn weg. Dann grinste er mich an. »Na, wie ich gerade hier sehe, hattet ihr ja auch ordentlich Alkohol intus, außerdem Amphetamine – Ecstasy…«
    Der bunte Schmetterling fiel mir ein, aber ich blieb stumm.
    Winter wurde wieder ernst und durchdrang mich mit seinem Blick. »Dann hast du das Ruder genommen und auf ihn eingeschlagen. Aus Wut. Verständlich. Noch dazu unter dem Einfluss von Drogen. Er war tot. Und du, du bist ausgerutscht und hast dir eine Beule geholt.«
    Ich konnte mich nicht erinnern. Plötzlich war ich gar nicht mehr sicher, ob Maurice und ich im Bootshaus überhaupt miteinander geredet hatten. Das Einzige, was ich klar und deutlich sah, waren Maurice’ offene, tote Augen, als ich mich mit dem

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