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Sommernachtsschrei

Sommernachtsschrei

Titel: Sommernachtsschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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Ruder in der Hand über ihn gebeugt hatte.
    »Du bist ja schon mal wegen Alkoholmissbrauch aufgefallen.« Er hatte die Augenbrauen weit in die Stirn gezogen, als er ein Blatt in die Hand nahm und las. »Oh ja, du hast das Auto deines Vaters gestohlen, Spirituosen aus der Tankstelle und bist alkoholisiert ohne Führerschein Auto gefahren, und das mit knapp sechzehn. Was hast du damals als Grund angegeben?« Er hielt das Blatt etwas weiter weg, wahrscheinlich ist er kurzsichtig, dachte ich, nur um mich abzulenken von dem, was er gleich vorlesen würde. Er räusperte sich: »Es war so eine blöde Idee, es mal wie in dem Film zu machen, den ich gesehen habe.« Er ließ das Blatt sinken und blickte auf. »An den Filmtitel konntest du dich aber nicht erinnern. Tja, also, ein Unschuldslamm bist du wirklich nicht!«
    Meine Eltern haben die Version, die ich damals zu Protokoll gegeben hatte, nie geglaubt, aber irgendwann haben sie es aufgegeben, nach der Wahrheit zu fragen.
    »Tja, und gestanden hast du deine Tat ja auch schon, und zwar Olaf Ritter, dem Referendar an eurer Schule.« Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Jetzt wollen wir es nur noch mal von dir hören.«

24
    Drosselweg 48. Das weiß ich, die Adresse habe ich mir eingeprägt, und im Gefängnis und später in der Klinik kam sie mir immer wieder ins Gedächtnis. Olaf Ritter, Drosselweg 48. In diesem Neubauviertel mit den weißen Reihenhäusern, den roten Ziegeldächern und braunen Lattenzäunen tragen alle Straßen Vogelnamen. Im Amselweg wohnt Sophie vom Venezia, erinnere ich mich, im Rotkehlchenweg unsere Sportlehrerin, Frau Riemann, es gibt noch den Elsterweg und den Finkenweg, dann schließt sich das Neubaugebiet mit den Blumennamen an. Veilchenweg, Rosenweg, Tulpenweg…
    Das alles geht mir durch den Kopf, während ich die Straße entlanglaufe, den Blick auf die Hausnummern gerichtet, und dabei immer langsamer werde.

25
    Vergangenheit
    Das Bootshaus. Um uns war Dunkel. Feuchtes, modriges Dunkel. Meine Hand lag in seiner. Sie war warm und größer als meine. Es fühlte sich gut an. Er hielt mich fest. Mir war schwindlig und in meinem Kopf schwirrten alle Gedanken und Bilder der letzten Tage herum, wie wild und aufgeregt umherflatternde Vögel in einem Vogelhaus. Einen kurzen Moment dachte ich darüber nach, dass ich doch wieder getrunken hatte, und dann sah ich das kaputte Auto nach dieser furchtbar blöden Mutprobe vor mir. Aber diesmal ist es anders, diesmal wird nichts Schreckliches geschehen, sagte ich mir und genoss wieder Maurice’ Nähe.
    Mittlerweile hatten sich auch meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Der schwache Schein des Mondes, der durch ein Fenster neben der Tür und ein paar fehlende Dachschindeln hereinfiel, ließ Maurice’ Haar silbrig glänzen. Es sah unwirklich aus, als wäre er ein Besucher aus einer fremden Welt, der von einem Mondstrahl auf die Erde gebeamt worden war. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass er mit mir hier war. Sein warmer Atem streifte meine Wange und meinen Hals. Mein Schwindelgefühl wurde stärker und das Schwirren in meinem Kopf auch. Ich spürte seine Lippen auf meinen und seine Nasenspitze berührte meine und seine Arme hielten mich und ich fühlte mich so wunderbar leicht und so lebendig und zugleich war mir, als würde ich gleich explodieren, mich in tausend farbigen Funken versprühen – erst in diesem Moment fing mein Leben an.
    »He, wollen wir immer noch über den See rudern?«, flüsterte er in mein Ohr.
    »Klar!« Ich sah schon über uns den Sternenhimmel und unter uns, auf dem Wasser, seine Spiegelung. Ich löste mich von Maurice, drehte mich zu dem Boot um, das da auf den Holzplanken lag, bückte mich nach einem der beiden Ruder. In diesem Augenblick blitzte etwas am Eingang auf, ein silberner Blitz aus dem Dunkel, die Herren der Finsternis, schoss es mir noch durch den Kopf, dann traf mich ein Schwert.
    Eine milchige Helligkeit trat vor meine Augen. Etwas war passiert. Mein Kopf dröhnte, als spielte dadrin eine ganze Mannschaft Squash. Ich versuchte, meine Glieder zu spüren und dann die Augen zu öffnen. Doch da war plötzlich eine fürchterliche Angst vor dem, was ich sehen könnte. Und so kniff ich die Augenlider zusammen, wehrte mich gegen den Drang, mich aufzurichten. Aber irgendetwas war stärker als die Angst vor dem Jetzt. Wo war ich? Und warum fühlte ich mich so?
    Die Sommerparty, richtig. Ich singe auf der Bühne, alle jubeln mir zu. Und da ist

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