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Sommernachtsschrei

Sommernachtsschrei

Titel: Sommernachtsschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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Jetzt nicht aufgeben! »Ich sehe immer wieder einen silbernen Blitz, wenn ich versuche, mich zu erinnern. Wissen Sie, was das sein könnte?«
    Ohne Zögern schüttelt er den Kopf. »Nein, keine Ahnung.«
    »Aber vielleicht gibt es ja doch etwas…«, versuche ich es noch einmal.
    Er zieht die Brauen hoch und sieht auf seine Uhr, ganz schnell, kurz, aber es ist mir nicht entgangen.
    »Franziska, manchmal konstruiert sich das Gehirn etwas, weil es die Wahrheit nicht ertragen kann.«
    Ja, das hat Dr. Pohlmann auch gesagt, trotzdem bin ich enttäuscht. Ich hatte mir etwas erhofft, eine neue Erkenntnis, ein neues Detail, irgendetwas, das mir endgültige Gewissheit bringen würde.
    »War denn Maurice… ich meine, Sie kannten ihn ja ein bisschen länger als ich… Also, war er wirklich eher so ein Mädchenschwarm, der sich einfach genommen hat, was er haben wollte?«, frage ich doch noch. »Also, ich kann mir einfach nicht…«
    »Wieso fragst du mich? Das wissen deine Freundinnen sicher besser, oder nicht?« Da ist ein Zucken um seine Mundwinkel – und wie er das Wort »Freundinnen« ausgesprochen hat – irgendwie… verächtlich.
    »Was haben Sie gegen meine Freundinnen?«, wage ich zu fragen.
    Die Röte schießt ihm ins Gesicht. »Nichts«, sagt er schnell.
    »Olaf?« Seine Frau Susanne, Gemeinderätin in Prien, steht auf einmal hinter ihm im Türrahmen.
    Sie ist das komplette Gegenteil von ihm. Altbacken statt jugendlich, überbordend statt asketisch. Sie trägt ein längeres orangefarbenes Leinenkleid, darüber eine gehäkelte Stola und eine schwere bunte Holzkette. Ihr erstaunter Blick wird freundlich, als sie mich erkennt.
    »Franziska? Franziska Krause?«
    Dass sie sich an meinen Namen erinnern kann! Die Namen von Mörderinnen graben sich nun mal ins Gedächtnis ein, sagt eine kalt klingende Stimme in meinem Kopf . Selbst wenn ich schon lang gestorben bin, wird man in der Gegend noch immer wissen, was Franziska Krause getan hat. Warum lächelt mich Susanne Ritter an?, frage ich mich. Und dann fällt mir ein, dass sie ja Politikerin ist und Übung in solchen Dingen hat.
    »Komm doch rein!«, sagt sie und drängt ihren Mann zur Seite. »Olaf, du wolltest uns doch gerade sowieso einen Eistee machen.«
    Eistee. Meine Zunge klebt am Gaumen. Ich merke, dass ich wahnsinnigen Durst habe, und trotzdem wird mir übel bei dem Gedanken.
    Olaf Ritters Lächeln bekommt etwas Gezwungenes. Ihm ist es nicht recht, dass ich da bin. Einen Augenblick lang überlege ich, ob ich ablehnen und wieder gehen soll. Doch dann sage ich mir, dass es schließlich sein Problem ist.
    Frau Ritter führt mich durch den schmalen Reihenhausflur ins Wohnzimmer. Es ist ein enger Raum, mit Esstisch, Stühlen, Couch und einem altmodischen Fernseher vollgepackt. Plüschige, bunte Kissen liegen überall auf dem Sofa, sodass man gar nicht weiß, wo man sich hinsetzen soll. Die große Glasscheibe hinter der Couch gibt den Blick auf den kleinen, aber dicht mit Büschen bepflanzten Garten frei. Eine Holzbank steht da, umrahmt von üppig bewachsenen Blumentöpfen.
    »Schatzilein, der Tee!« Susanne Ritter sieht mich mit ihren großen Augen mütterlich-sorgenvoll an, während ihr Mann in die Küche geht und mit dem Geschirr klappert.
    »Setz dich doch«, sie zeigt auf die Couch, »ich darf doch noch Du sagen, oder?«
    »Ja, klar.« Ich drücke mich zwischen die Lehne und ein fettes, rotes Kissen mit Quasten. Susanne lässt sich in einen weichen Sessel sinken.
    »Pass auf, Franziska, wir wollen im Jugendstrafrecht einiges ändern. Ich kandidiere ja in diesem Herbst für das Bürgermeisteramt.« Sie setzt sich aufrechter. »Jugendliche hinter Gitter zu stecken ist keine Lösung.« Sie fummelt an ihrer Halskette aus bunten Holzkugeln herum wie meine Urgroßmutter an ihrem Rosenkranz. Ich frage mich, ob sie immer so nervös ist.
    »Schatzilein?«, ruft sie in die Küche, »lebst du noch?«
    Sie rollt die Augen, als wäre ich ihre Verbündete. Sicher erwartet sie, dass ich mitlache. Ich finde es nur peinlich, wie sie mit ihrem Mann umgeht. Als ob er ein kleiner Junge wäre.
    »Ich schlage vor, du kommst morgen zu unserer Sitzung und erklärst denen mal, wie das so ist, im Gefängnis. Unser Kindergartenprojekt ist auf nächste Woche verschoben, also, am besten – wo wohnst du? – ich hole dich ab und…«
    »Nein.«
    »Nein?«
    »Ich komme nirgendwohin mit.« Ich stehe auf, gerade als Schatzilein mit einem Krug Tee, in dem die Eiswürfel klirren, aus der Küche

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