Sommernachtszauber (German Edition)
losließ.
»Dein erstes Blitzlichtgewitter. Bravo. Und genau wie Carlos sage ich das nicht leichtherzig: gut gemacht.«
Caroline nickte, doch in ihren Adern kribbelte es. Es war, als ob sie nach einem betäubenden, von Albträumen vergifteten Schlaf erwachte. Aber nun konnte sie nicht mehr ausreißen. Sie musste da jetzt durch, bis es vorbei war.
»Willst du wirklich schon gehen? Es ist grade mal elf. Jetzt, wo jeder seinen
Bambi
hat, fängt die Chose doch erst richtig an. Nun geht es rund und alle lassen die Masken fallen.«
»Ja. Ich will wirklich schon gehen. Gute Nacht, Ben. Ich muss schlafen. Und du auch. Morgen ist ein großer Tag.«
»Stimmt. Aber ein oder zwei Gläser brauche ich. Kann ich dich dann noch nach Hause bringen?«
»Nein danke. Bleib du hier. Ich nehme ein Taxi. Danke für den schönen Abend. Wir sehen uns morgen, Romeo.
Toi, toi, toi.«
Er sah sie kurz und traurig an, aber Caroline ignorierte es. Sie beide hatten für den
Bambi-
Abend einen Deal geschlossen, dem
Bimah
zuliebe, was sie und Johannes teuer zu stehen gekommen war. Jetzt war sie frei, ihrem Herzen zu folgen. Ihr Herz, das schon beim Gedanken an das nächtliche
Bimah
und an das Wiedersehen mit Johannes schneller schlug. Selbst wenn dies das Ende für sie war, so wollte sie noch einmal mit ihm reden. Das Ende? Nein. Das erlaubte sie nicht. Die Kehle wurde ihr trocken. Alles an ihr sehnte sich nach ihm. Wenn er sich ihr zeigte! Ohne ihn war all dies hier nichts wert.
Ben brachte sie noch über den nun verwaisten roten Teppich bis zur Straße. Er streckte, ganz Gentleman, den Arm aus und rief ihr ein Taxi, das mit quietschenden Reifen am Bordstein hielt. Ben öffnete ihr die Tür, und sie tauchte in das Dunkel des Wagens, wobei sie vorsichtig den Rock des Kleides anhob, damit der Saum nicht in den kleinen Pfützen schleifte, die ein Septemberregen im Rinnstein hinterlassen hatte.
»In die Kreuzbergerstraße«, sagte Ben zum Fahrer, ehe er hinzufügte: »Schlaf gut, Caroline. Dir auch
toi, toi, toi
für morgen. Wir schaffen das.«
Auch er sah plötzlich blass aus. Lag das am Lampenfieber, oder weil sie fuhr? Caroline hatte keine Kraft, darüber nachzudenken. Sie brauchte jedes Jota davon für Johannes. Dem sie alles schuldete. Mehr noch: den sie liebte und für den sie bereit war, alle Fragen zu vergessen. Er war da. Das war doch das Einzige, was zählte, oder?
»Danke, Ben.« Der Wagen fuhr an und Caroline beugte sich vor: »Kleine Kurskorrektur. Kreuzberg kann warten. Ich will zum
Bimah
in die Fasanenstraße!«
Alles fließt,
dachte sie, und ihr Herz schlug beinahe schmerzhaft vor Sehnsucht und Verlangen nach Johannes.
Alles fließt.
Das wollen wir doch mal sehen! Mit einem Mal machten ihr diese Worte Mut. Ja, man stieg niemals in denselben Fluss, aber wie schön, wenn sie darin mit Johannes baden gehen konnte.
Der Penner schlief. Oder wollte er ihr lieber aus dem Weg gehen, statt noch einmal angefahren zu werden? In Caroline wurde alles weich vor Aufregung, als sie die schwere Tür zum
Bimah
aufstieß. Sie fühlte sich plötzlich ein paar Wochen zurückversetzt, als Simone ihr den Schlüssel zum Theater zugesteckt hatte und sie zum ersten Mal abends zum Üben gekommen war. Seitdem standen ihr Leben und ihre Gefühle kopf. Und nun hatte sie vielleicht alles kaputt gemacht … Nein! Sie würde kämpfen!
Als sie das Foyer betrat, war alles so dunkel und still wie beim ersten Mal. An diesem Abend hatte sie keine Angst mehr, denn sie war Teil dieses Hauses, sowohl seiner Geheimnisse wie auch seiner Offenbarungen. Caroline suchte erst gar nicht nach dem Lichtschalter. Dafür sah sie den matt-goldenen Schimmer des Geisterlichts eine leuchtende Spur über die Bühne durch den Saal bis zu den Schwingtüren des Foyers ziehen. Es zog sie magisch an. Solange es brannte, war Johannes da und konnte zu ihr kommen. Wenn er es denn wollte. Dennoch wartete sie dort in der Dunkelheit, die leise mit ihr atmete. »Johannes? Ich bin’s. Bitte, komm zu mir.«
Ihr Herz schlug plötzlich mit Schmetterlingsflügeln überall in ihrem Körper, als alles still blieb. Sie suchte an der geschnitzten Wandvertäfelung Halt. Dann trat sie ein, zwei Schritte hinein in das Foyer und stieß schließlich die Schwingtüren in den Zuschauerraum auf.
Alles war neu bestuhlt worden. Alles war bereit für morgen. Sie ging langsam die schiefe Ebene hinunter bis zur Bühne und sah zum Geisterlicht, das beständig leuchtete. Lampenfieber. Es war wie Malaria. Wer es
Weitere Kostenlose Bücher