Sommernachtszauber (German Edition)
verlassen?«
Johannes hatte genickt: »Es ist nur ein Spiel, Onkel Georg. Nur ein Spiel …«
Georg hatte sich die Uniform zurechtgezogen und seine Kappe vom Garderobenhaken genommen, ehe er seine Erscheinung mit einem raschen Blick in den Spiegel überprüft hatte. Hassenswerte Perfektion, auf den durchtrainierten Leib geschneidert. Sein Onkel hatte noch gegrinst.
»Na prima. Dann sehe ich dich zur Feier des Tages nach dem Stück bei
Borchardt,
ja? Auf meine Rechnung natürlich. Es gibt frische Flusskrebse. Das hat nur Berlin zu bieten!« Er hatte Johannes zugezwinkert. »Wir stoßen auf deine Freiheit an und auf deine Entscheidung. Sollen die Juden ihre
gefilte Fisch
selbst fressen. Das Zeug stinkt eh bis zum Himmel!«, hatte er noch gesagt, bevor er die Garderobe verließ.
Johannes hatte versucht, sich zu fassen.
Seine Freiheit – und seine Entscheidung.
Judith verlassen! Sein Herz hatte sich verknotet. Wie lebendig dieses Gefühl noch immer war. Judith lebte damals das Leben, das er hatte führen wollen. Sie war schon längst eine Große, daran gab es keinen Zweifel.
Sie atmet mit dem Herzen,
hatte Max Reinhardt gesagt. Heute, hier neben Caroline konnte er sich kaum mehr Judiths Gesicht vor Augen rufen.
Seine Entscheidung war schon gefallen gewesen, noch ehe Georg die Garderobe verlassen hatte.
Caroline spürte sein Zögern wohl, seine Verstörung, denn sie streichelte ihm wieder über das Haar, stützte sich auf ihren Ellenbogen und küsste ihm die Augenlider.
Aber er war in der Erinnerung an die Verzweiflung des Abends vor über siebzig Jahren verloren: Wie hatte er so auf die Bühne gehen und spielen können? Was sollte er Judith sagen? Alles Fragen, auf die er keine Antwort mehr bekommen hatte. Aber heute stellte Caroline die Fragen und er konnte, wollte, musste antworten.
Er lächelte traurig. »Mein Onkel fragte mich, ob es mir mit Judith und unserer Verlobung wirklich ernst sei. Ich wollte doch ein großer Schauspieler werden. Und ich sollte doch auch an die Karriere meiner Mutter denken. Caroline – ich wollte nur Zeit gewinnen. Nichts anderes. Ich wollte nachdenken … Und dann habe ich diese schrecklichen Worte gesagt.«
»Welche Worte?«
»Es sei doch nur ein Spiel. Nur ein Spiel …«
Caroline atmete scharf ein. Johannes zog sie instinktiv fester an sich. »Bleib. Bitte, hör mir zu! Ich erinnere mich noch, wie heiß es in der Garderobe geworden war. Mir brach der Schweiß aus und verwischte meine Schminke. Dann wollte ich auf die Bühne gehen …« Seine Stimme verlor sich.
»Und was geschah dann?«, flüsterte Caroline. Er hörte ihr Herz in ihrer Stimme schlagen. Vielleicht kostete sie dieses Gespräch ebenso viel Mut und Kraft wie ihn. Vielleicht sogar mehr. Dennoch sammelte er seine Sinne und all die ihm verbleibende Kraft, um der Erinnerung ins Gesicht zu blicken.
»Ich hörte Schritte im Gang. Jemand hatte gelauscht. Doch als ich die Tür öffnete, war niemand zu sehen.«
»War das Judith?«, flüsterte Caroline. Ihre Augen waren weit vor Entsetzen. »Meinst du, sie hat gehört, dass du sie – verlassen wolltest?«
Verlassen. Johannes lächelte traurig. »Aber, Caroline …«
»Was?«, flüsterte sie rau und er sah sie schlucken.
Sie schien trotz all ihren Versprechungen und all ihres guten Willens etwas von ihm abzurücken. Er verstand sie. Was konnte es Schmachvolleres geben, als seine Liebe für Geld und Karriere zu verraten? Johannes schüttelte den Kopf.
»Lass mich sprechen. Ich habe viel zu lange geschwiegen. Du hättest das alles gleich von Anfang an wissen sollen.« Er kämpfte um seine Stimme. »Ich dachte erst, dass die Garderobenhilfe wieder gelauscht hätte. Diese Mädchen wussten immer alles. Ich hoffte nur, dass sie sich nicht gegenüber Judith verplapperte. Ich hatte selber mit ihr sprechen wollen, wenn die Premiere gelaufen war. Das schuldete ich uns beiden, in der wenigen Zeit, die uns blieb.«
Caroline schien kaum mehr zu atmen. Er lächelte schwach. Doch dieses Mal würde er nicht so einfach aufgeben. Dieses Mal wollte er mehr von seiner Zeit mit seiner Liebsten. Jede Stunde, jede Minute, die ihnen blieb. Viel mehr konnte es nicht sein. Wenn er ihr nur noch bei der Premiere beistehen konnte!
»Ich rannte durch den leeren Gang in die Kulissen, wo Hochbetrieb herrschte, denn durch Georg war ich spät dran. Mit Judith zu sprechen, blieb keine Zeit mehr. Der Regisseur schlug mir noch auf die Schulter, dann ging der Vorhang auf. Ich erinnere mich noch, dass
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