Sommernachtszauber (German Edition)
Mund. Weshalb hatte sie das gesagt? Was geschah mit ihr in dieser Rolle, die sie so sehr, SO SEHR wollte? Die Verwandlung, die Häutung, durch die sie durchmusste? Es tat weh. War sie wirklich nicht Julia?
Caroline floh aus dem Bad, stieg in eine verwaschene Jeans und knöpfte sich die weiße Bluse falsch zu. Egal, keine Zeit zum Korrigieren.
»Frühstück!«, rief Michi, stürmte, ohne anzuklopfen, in Carolines Zimmer und schüttelte die offene Cornflakes-Schachtel. »Hukka Chakka! Zulu Zulu Nana! Ich bin ein Eingeborener und du der Forscher und ich freeeessssssee dich jetzt auf!« Er tanzte um sie herum und sprang auf und ab. Die ersten Cornflakes flogen und Caroline nahm ihm die Schachtel ab. Ihre schlechte Laune und Angst verschwanden, wie immer, wenn Michi bei ihr war. Er zwickte sie prüfend.
»Hm. Zähes Stück Fleisch. Muss liegen am Alter. Wird erst einlegen müssen, bis gar sein!«
Sie musste plötzlich lachen. Einlegen müssen, bis gar sein . Vielleicht geschah gerade das mit ihr am Bimah . Sie umarmte Michi so stürmisch, dass die Cornflakes auf den Teppich regneten.
»Hey, was essen wir jetzt?«
Sie kramte in ihrer Jeans und drückte ihm ein paar Münzen in die schon wieder schmutzige Hand. »Geh zum Bäcker jagen, okay? Ich mag meinen Forscher mit röscher Kruste, sollte er fragen. Auch wenn das politisch nicht so korrekt ist.«
»Zum Bäcker?« Michi machte große Augen. »Aber heute ist doch gar nicht Sonntag?«
»Nein. Aber wir tun heute so. Schließlich entscheiden wir, ob Sonntag ist. Immer wieder.«
Als sie am Bimah ankam, griff Caroline in die Tasche und hielt dem Penner auf der Schwelle ein halbes Hörnchen hin.
»Hier. Hab ich dir mitgebracht.«
Er sah sie ungläubig an. »Ich dachte, Engel wären blond.«
»So kann man sich täuschen.« Sie musste lachen, doch ihre Stimme klang dünn.
Er biss in das Hörnchen und ließ sich den zarten Teig ganz im Mund zergehen. »Schönen Tag noch, junge Frau. Nicht vergessen: Gib und dir wird gegeben.«
Caroline nickte nur stumm. Als sie die Tür zum Bimah aufzog, wusste sie, was es bedeutete, wenn einem das Herz dahin rutschte, wo es überhaupt nicht hingehörte.
Die Stunden mit Johannes steckten ihr in allen Knochen. Die Erinnerung an ihre gemeinsame Probe wucherte wie eine tropische Schlingpflanze in einem bis dahin braven kleinen Schrebergarten. Seine Worte. Seine Art, alles anzupacken. Er hatte ihr am Freitag eine neue Welt eröffnet, in der sie sich nun nicht zurechtfand. Was erwartete sie heute? Konnte sie bereits in die Richtung gehen, die er ihr gewiesen hatte? Jetzt war ihr Herz am entgegengesetzten Körperteil angekommen und schlug bis in ihren Hals.
»Na, los doch«, sagte der Penner und leckte sich die Krümel von den Lippen. »Wird schon keiner beißen, oder?«
Vielleicht doch. Wenn ich es einfach nicht kann, dachte sie mutlos und ging in das Theater.
»Ah, da kommt Mademoiselle ja«, fauchte Carlos. »Du bist zehn Minuten zu spät. Das dulde ich nicht. Ein Ensemble im Theater ist wie eine Mannschaft im U-Boot. Absolute Disziplin und Gehorsam, bis zum …«
»Untergang?«, warf Ben ein und zwinkerte Caroline zu. Sie war ihm dankbar. Er wollte offensichtlich Carlos’ Zorn von ihr auf sich lenken. Was auch gelang.
»Schnauze. Von Untergang spricht hier keiner. Mein Ziel heißt: Treffer versenkt, verstanden?«, pfiff Carlos ihn an.
Ben schlug die Hacken zusammen, salutierte und plötzlich musste Simone lachen. Carlos fuhr herum. Sie zuckte mit den Schultern, machte große Augen und schob die knallrot geschminkten Lippen nach vorn. Seinem Zorn ging die Luft aus.
»Also los, Mannschaft. An die Torpedos«, knurrte er dennoch. »First things first. Das Aufeinandertreffen auf dem Marktplatz von Verona. Ich will Fäuste fliegen sehen. Ihr seid keine scheuen Jungfern, sondern verdammt noch mal kriegslustige junge Hähne, denen das Testosteron nur so aus dem Arsch quillt!«
Das Ensemble zerstreute sich hastig und ging entweder in Position oder ließ sich am Bühnenrand nieder, um der Probe zuzusehen. Caroline verzog sich ganz nach hinten, wo die Kulissen auf den Gang zu den Garderoben führten. Einen Augenblick lang stand sie verloren herum. Dann konnte sie nicht anders und blickte zum Geisterlicht, das beständig und funzelig brannte. War er hier?
Sie spürte einen Lufthauch und fuhr zusammen, doch es war nur Mia, die die Tür zur Maske hart geschlossen hatte. Nur Mia, kein Johannes.
Caroline ging unentschlossen zum Licht und
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