Sommernachtszauber (German Edition)
sah nach oben. Spinnweben zogen sich von der Lampe hin zur Wand. Und doch hatte sein Leuchten etwas Besonderes. Es war warm. Eine Wärme, die sie geradezu körperlich spürte.
War dies das Tor zwischen den Welten? Der Übergang von Leben und Tod, der die Zeit außer Kraft setzte? Sie griff sich an den Kopf. Tor zwischen den Welten! Schwachsinn.
Ein Licht, das in jedem Theater immer brennen muss, damit die Geister des Hauses ihre eigenen Stücke aufführen können. Es darf nie ausgehen.
Plötzlich verlor sich das Aber vor dem Glauben. Sie hatte nicht geträumt, so viel stand fest. Das Licht brannte und Johannes war am Vorabend bei ihr gewesen, mit all seiner Kraft und seinem Geheimnis. Sie sah sich wieder um – die Bühne, der Saal, die Kulissen. Das Haus war so groß – irgendwo hier musste er sein. Hier bei ihr oder irgendwo in den oberen Stockwerken. Nein, sicher beobachtete er sie, um sie dann zu kritisieren.
Caroline hob trotzig das Kinn. Sie konnte es schaffen. Er würde schon sehen! Dann musste er ihr nicht mehr so den Kopf waschen wie am Freitagabend!
Sie legte sich die Hände schützend auf die nackten Oberarme, denn ihr kam ein Gedanke, der sie frösteln ließ. Wenn er überhaupt je wiederkam, um mit ihr zu proben, nachdem sie einfach so davongelaufen war. Was, wenn er sie nun allein ließ? Sie schluckte hart und hakte ihre Finger in die Gürtellaschen ihrer Jeans. Aber was hätte sie sonst an dem Abend mit Johannes tun sollen? Er war doch schließlich ein – wieder stockten ihre Gedanken vor dem Wort.
»Caroline! Balkonszene!«, bellte Carlos aus dem Saal. Kein Zweifel, er war immer noch sauer. Vielleicht könnte ihm Simone etwas Valium in den morgendlichen Kaffee mischen, dann wären solche Tage für alle erträglicher, dachte Caroline, als sie auf die Bühne hastete.
Sie spürte den Schein des Geisterlichts dabei in ihrem Rücken. Es stellte sie auf seltsame Art auf die Probe: Ha! Sie würde es ihm schon beweisen!
»Was ist nur mit dir los? Das war das zweite Mal, dass du dein Stichwort verpasst! Das sind die berühmtesten Liebesworte der Welt und du kannst sie dir verdammt noch mal nicht merken? Darf ich Ihnen Hilfestellung geben, Frau Siebert: Rose? Name? Schon mal was davon gehört, hm?«, fauchte Carlos.
Caroline wurde heiß und dann kalt. Sie stand, während Ben vor ihr kniete. Jetzt senkte sie den Blick, doch unter ihren Lidern sammelten sich Tränen. So viel zum Thema: Sie würde es ihm schon beweisen . Bockmist. Sicher, Carlos war heute in superarschiger Stimmung, aber er hatte auch recht. Sie hatte schon wieder ihren Einsatz verschlafen. Nein. Nicht verschlafen. Sie war in Gedanken woanders gewesen. Unwillkürlich sah sie zum Geisterlicht, als ob dort Johannes stünde und ihr beim Spielen zusähe.
Carlos seufzte und raufte sich die Haare. Sie stand stumm da und ließ die Arme hängen. Es gab nichts zu sagen. Der Kloß in ihrem Hals war einfach zu dick dazu. Vielleicht war all dies doch zu viel für sie, nach dem zweiten Semester Schauspielschule. Aufgeben? Ihr wurde schwindelig vor Verzweiflung. Was das für ihre Bewertung an der Schule und für ihre Zukunft wie auch ihr Selbstbewusstsein bedeutete, stand außer Frage. Sie ging nun ebenfalls in die Knie und kauerte sich wie zum Schutz zusammen.
»Hock nicht einfach so da!«, sagte Carlos bedrohlich leise. Wenn er so sprach, war das noch viel angsteinflößender als wenn er tobte und brüllte. Ein Carlos, der bellte, biss nicht. Oder fast nicht. »Ich wollte dich haben, weil du an der Volksbühne aufgestanden bist, und nun tust du genau das Gegenteil! Du kannst mein ganzes Stück kippen, wenn du so weitermachst. Aber weißt du, was, wenn das Bimah sinkt, dann sinkst du mit!« Seine Stimme wurde lauter, er stand auf und warf voll Zorn seinen Text nach ihr.
Caroline schnappte nach Luft und duckte sich gerade noch, als das Buch im Flug zerfledderte. Auf Ben und sie regnete es die zerlesenen Seiten von Romeo und Julia . Sie konnte ihre Schluchzer nicht mehr zurückhalten. Müdigkeit und Unsicherheit überschwemmten sie. Vielleicht ließ Johannes sie nun so hier: halb gebacken und ewig unfertig. Dicke Tränen kullerten über ihre Wangen. Carlos verschränkte die Arme und presste die Lippen zusammen. Seine Augen waren noch immer dunkel vor Zorn, und selbst Simone wagte es nicht, ihn zu unterbrechen.
»Ach verdammt! Jetzt weinst du auch noch. Pause. Pause für alle!«, knurrte er dann. »Caroline, du kommst zu mir. Alle anderen: Pause.
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