Sommernachtszauber (German Edition)
Position, Ben und Caroline! Balkonszene, die vierte und letzte! Sonst kracht’s, und zwar so richtig.«
»Nur Mut«, flüsterte Ben, als sie ihre Positionen einnahmen, doch Caroline nickte nur geistesabwesend.
Caroline ging nach den Proben nach Hause. Sie hatte von allem die Nase voll! In der U-Bahn wäre sie beinahe zwei Male eingenickt, so erschlagen war sie von den Anstrengungen des Tages: Himmelhoch jauchzende und zu Tode betrübte Gefühlslagen laugten sie aus wie noch nie etwas zuvor! Sie stöpselte sich die Musik in die Ohren und hörte Adèles Daydreamer .
Als sie in der Wohnung ankam, war alles still bis auf das Geräusch des Fernsehers aus dem Wohnzimmer. Michi schlief heute bei einem Freund, was ihr etwas Luft zum Atmen gab. Ihre Mutter gabelte vor der Mattscheibe kalte Ravioli aus der Dose. Schon der Anblick allein drehte Caroline den Magen um. Kalte Ravioli standen auf ihrer Ekelliste ganz oben, aber noch mehr schockierte sie der trostlose Anblick ihrer Mutter. Sie war ganz deutlich in einer ihrer Stimmungen, wo nichts und niemand sie erreichen konnte.
Was für eine Sendung sah sie da eigentlich? Caroline warf einen Blick auf den Bildschirm. Irgendeinen Reality-Kram, wo eine Frau gerade weinend am Ausguss ihrer kleinen Küche stand. Oh Mann! Wenn ihre Mutter, so auf dem Sofa sitzend, ihr selbst nicht Ansporn genug war, was dann auf dieser Welt? Sie hatte hier in der Wohnung nichts verloren, sondern ihr Platz war im Bimah , beim Proben, Proben und noch einmal Proben. Ihre letzte Chance wollte sie sich nicht verderben!
»Ich geh dann noch mal weg, ja?«, sagte sie, doch ihre Mutter nickte nur geistesabwesend. Im Hinausgehen schnappte Caroline sich noch eine Banane aus der Küche und nach kurzem Nachdenken dann noch eine zweite.
Als sie in die Fasanenstraße bog, brannten im Bimah alle Lichter. Caroline stockte kurz und beobachtete den großen Gründerzeitbau. Alles schien still dort zu sein. Natürlich. Was hatte sie erwartet? Eine Silhouette am Fenster? Quatsch. Niemand hielt Ausschau nach ihr. War er da? Dort, unter dem Geisterlicht? Ihr Magen zog sich zusammen, ob vor Furcht oder Aufregung, das konnte sie nicht sagen. Beides vielleicht.
Von dem Obdachlosen war momentan nur der leere Schlafsack auf der Schwelle zu sehen. Vielleicht war er gerade auf Raubzug durch die Mülltonnen der Umgebung gegangen. Caroline legte ihm die zweite Banane neben sein Bündel aus Kleidern und Büchern. Dann sperrte sie die Tür des Bimah auf. Dieses Mal gelang es ihr mühelos.
Sie stand einen Augenblick lang atemlos in der Stille des Foyers. Dann räusperte sie sich.
»Johannes? Bist du da? Ich bin es, Caroline …« Ihre sonst für ein Mädchen sehr tiefe Stimme klang dünn und klein in der hohen und Ehrfurcht einflößenden Stille des Hauses. Caroline trat von einem Fuß auf den anderen. Doch alles blieb ruhig.
»Ich erinnere mich gut an deinen Namen«, sagte dann eine Stimme ganz nah an ihrem Ohr.
Erleichterung durchflutete sie. Sie fuhr herum, doch sah niemanden.
»Du bist also wiedergekommen«, sagte er. Klang er froh? Gleichgültig? Spöttisch? Sie konnte es nicht sagen.
»Ja«, sagte sie mit fester Stimme. »Ja! Wo bist du?«
»Hier und da und natürlich auch dort!« Er lachte irgendwo um sie herum, seine Stimme wirbelte und es klang jungenhaft vergnügt. Zu sehen war er noch immer nicht. Plötzlich hob sich ihre Beklemmung. Es tat gut.
»Ich habe immer schon gerne Verstecken gespielt, du auch?«, fragte er aus dem Unsichtbaren.
Sie musste nun ebenfalls lachen. Alle Anspannung des Tages löste sich auf. Wenigstens klang er nicht mehr so streng wie am Freitag. Das hätte sie jetzt auch nicht ertragen. Spürte er das? Konnte er vielleicht in sie hineinsehen und in ihr lesen wie in einem Buch? Egal. Er war da! Sie würden miteinander arbeiten. Alles war gut.
»Wo bist du?«, wiederholte sie. »Komm ans Licht, wenn du dich traust!«
»Ich mich – was? Traue? Das sind aber große Worte!«, sagte die Stimme aus dem Nichts wieder ganz nah bei ihr. Sie fuhr herum. Nichts! Niemand! Es war zum Mäusemelken. Aber es machte auch Spaß. Harmlosen, echten Spaß nach all dem Stress mit Carlos und bei ihr zu Hause. Wann hatte sie jemand zum letzten Mal so richtig zum Lachen gebracht?
»Zu groß für mich?«, fragte Caroline herausfordernd. Sie drehte sich im Foyer um die eigene Achse. »Wo bist du? Noch einmal frage ich nicht! Aller guten Dinge sind drei …«
»Ich bin wie eine Motte und muss immer hin zum
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