Sommernachtszauber (German Edition)
Es ist nur etwas heiß hier drinnen. Klar kannst du Carolines Nummer haben«, sagte sie und zog ihr iPhone heraus. »Hier.«
Ben speicherte sich die Nummer ein.
»Danke, Mia. Bist ein echter Kumpel«, sagte er dann und verglich die beiden Nummern noch ein letztes Mal. »Ich hab doch gewusst, dass ich dich fragen kann. Ihr zwei seid echte Freundinnen.«
Damit ging er. Mia blieb allein zurück. Sie sank auf einen Stuhl, denn sie hatte keine Kraft mehr in den Gliedern. Mit zitternden Fingern schenkte sie sich ein Glas Wasser ein und trank es mit hastigen Schlucken.
Erstickte sie hier drinnen? So fühlte es sich zumindest an. Wie ein Fisch auf dem Trockenen, hektisch mit den Kiemen schnappend.
Echte Freundinnen
. Ja. Mit allem Drum und Dran. Heute verbunden, morgen bis aufs Blut verfeindet.
Sie sah sich im Spiegel an: ein hübsches, zartes, weißblondes Mädchen in sehr kurzen, am Morgen erst abgeschnittenen Jeans und einem verwaschenen, sehr coolen T-Shirt. Plötzlich ballte sie die Fäuste und schrie auf, als sie mit einer einzigen Bewegung alles vom Tisch fegte, was dort vor dem Spiegel lag: die Schminke, Papiere, Handy, Schmuck, alles. Sie ballte eine Hand zur Faust und biss hinein, bis sie Blut schmeckte. Das hatte sie als Kind gemacht, wenn ihre Eltern vom Drehen wiederkamen und sich stritten, stritten und stritten, dass die Fetzen flogen. Dieses Mal half es nichts. Die Wut, die Eifersucht und die verletzte Eitelkeit in ihrem Inneren waren stärker.
Mia sprang auf und fetzte die Kleider von dem Gestell. Als alles am Boden lag, riss sie noch den geheimnisvollen dunklen Kleidersack auf.
Da war das lange Kleid, das sie in Carlos’ Auftrag für Caroline ausgesucht hatte. Vintage Pucci aus den Siebzigerjahren, das angeblich aus dem Kleiderschrank einer italienischen Prinzessin stammte. HA! Italienische Prinzessinnen – die konnten sie mal alle gernhaben und die Fetzen wieder zusammenflicken, wenn sie mit dem Kleid hier fertig war. Wer sagte, dass Julia in Patchwork nicht ganz klasse aussah? Passte zu diesem Schülerkram hier!
Sie packte die Schere, die an einem Strang neben den Kleidern hing, und bebte vor Triumph, als sie am Kleid zum Schnitt ansetzte. Adieu, du blöder Fummel!
»Mia. Was ist denn los? Was machst du denn da?«, fragte jemand von der Tür her.
Mia sah auf. Es war Simone. Die fette, unmöglich angezogene Assistentin, die Carlos so hoffnungslos hinterherdackelte. Die hatte ihr gerade noch gefehlt!
Simone zog die heute brandrot angemalten Augenbrauen hoch. »Das ist doch Carolines Kleid, oder? Warum liegt es am Boden? So teuer, wie das war …!«
Mia bebte noch immer vor Zorn, aber ließ die Schere sinken. Natürlich, Simone war ja die Chef-Erbsenzählerin hier! Jeder Pfennig des armseligen Budgets wurde von ihr abgesegnet. Sie sah heute in einem kleinen, ärmellosen Schwarzen, knallgrünen Strümpfen, Springerstiefeln und einer Donald-Duck-Seglerkappe wieder aus wie Ernie und Berts bei der Geburt ausgesetzte und von farbenblinden Wölfen aufgezogene Schwester! Ja, Himmelherrgott, hatte die denn keinen Spiegel daheim?
»Ja. Ich habe es da hingelegt, um den Schnitt besser zu beurteilen«, log Mia rasch.
»Und was willst du mit der Schere?«
Dir die neugierige Zunge abschneiden, dachte Mia mit frischem Hass. Jetzt verabscheute sie alle hier! Alle waren gegen sie!
»Ich habe überlegt, ob der Ausschnitt groß genug ist«, sagte sie geschmeidig.
»Aha. Lass das mal so, ja? Herr Pucci hat sich sicher was bei seinem Design gedacht, oder?«
Mia nickte, auch wenn sie dabei innerlich mit den Zähnen knirschte.
Simone verschwand aus der Garderobe und Mia gab der Pucci-Robe einen wütenden Tritt. Ihre Wangen brannten vor Wut. Sollte sie alles hier hinschmeißen? Das geschähe ihnen in diesem Scheißladen gerade recht!
Da hörte sie dumpf Carlos’ Stimme in die Garderobe dringen: »Probe! PROBE! Pause und Anprobe sind vorbei! Los, los, los! Meint ihr, wir haben ewig Zeit? Caroline, die Morgenszene noch einmal bitte!«
Er schrie offenbar schon wieder von seinem Klappstuhl aus alle an, wenn sie ihn selbst hier in diesem stinkigen Kabuff so deutlich hören konnte. Arsch. Sie in diesen Kleiderschrank zu verbannen! Und ihrer biederen, mit Komplexen beladenen und mit ihrem Unglück hausierenden, asozialen kleinen Freundin den Vorrang zu geben. Na, warte.
Mia sah wieder in den Spiegel. Sie zwang sich zur Ruhe. Ihr war nun nicht mehr nach Schreien und Stampfen zumute. Das taten nur Stümper. Sie
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