Sommernachtszauber
also angerufen. Benson? Hm, da habe ich keinen Eintrag in meinem Terminplan. Warten Sie einen Moment, ich läute ihn mal eben an.«
Joss wartete, und die Empfangsdame läutete.
»Sie haben Glück. In etwa fünf Minuten hat er Zeit für Sie. Er läutet dann runter. Setzen Sie sich doch.«
»Danke.« Während sie auf ein weiteres Läuten wartete, zog sich Joss zu einer Sitzgruppe ziemlich seltsam geformter Buchenholzstühle zurück, die aber erstaunlich bequem waren, und besah sich eine Reihe silbern gerahmter Fotografien an der Wand.
Sie hatte sich eine Zeitungsredaktion irgendwie turbulenter und aufregender vorgestellt. Voll surrender Maschinen und ständig klingelnder Telefone, zwischen denen Unmengen von Leuten umherhasteten und einander alles Mögliche zuriefen. Vielleicht ging all das, ihren Blicken entzogen, irgendwo anders vor sich. Hier jedenfalls sah es aus wie im Foyer jeder x-beliebigen gediegenen Firma.
Die Fotos waren auch keine Ausschnitte aus dem Advertiser, sondern zeigten offenbar die Mitarbeiter, so als seien alle zur gleichen Zeit, bei gleicher Beleuchtung, vor dem gleichen Hintergrund und mit dem gleichen schüchternen Lächeln fotografiert worden – wie im Gesundheitszentrum von Hazy Hassocks.
Mr Brewster, der Redakteur, der am Telefon geklungen hatte wie der große Journalist Jeremy Paxman, sah auf dem Foto aus wie einer dieser austauschbaren Politiker, die immer für die Konservativen kandidierten: freundlich, blass und mit einem Hang zur Glatze.
Joss fand das alles reichlich enttäuschend.
Und jetzt bekam sie wieder das große Zittern. Ihre Handflächen waren schweißnass, und ihr Mund wurde trocken. So etwas hatte sie noch nie zuvor getan. Ihr Leben war in fest geregelten Bahnen verlaufen – und was wollte sie hier überhaupt? Ganz gleich, was Mr Brewster ihr zu sagen hatte, anschließend müsste sie ja doch wieder nach Hause und weiter ihr freudloses Leben mit Marvin führen. Da konnte sie eigentlich genauso gut gleich wieder gehen.
Sie schritt zur Empfangstheke hinüber. »Äh, Entschuldigung, ich möchte nicht länger -«
Die Empfangsdame telefonierte gerade und winkte mit den Fingern. »Ja, sie ist hier. Ich schicke sie hoch.« Sie legte den Hörer auf. »Mr Brewster hat jetzt Zeit für Sie. Wollten Sie etwas sagen?«
»Nein, nicht wirklich.« Joss wurde ganz flau im Magen. »Nein, danke. Wo muss ich hin?«
Der Wegbeschreibung folgend, wanderte sie langsam mehrere gleich aussehende Korridore in Glas und Chrom entlang, vorbei an geschlossenen Türen, hinter denen sich vielleicht, vielleicht aber auch nicht, jene lärmenden, hitzigen Zeitungsredaktionen verbargen, die sie erwartet hatte. Aber nichts ließ darauf schließen, dass jemand rief: »Titelseite anhalten!«, oder dass enthusiastische Jungreporter mit einer Tasse Kaffee in der einen und einem Notizblock in der anderen Hand losstürmten, um die neueste Sensationsmeldung für die Lokalseite zu ergattern.
Mr Brewsters Büro war, wie die Empfangsdame gesagt hatte, am Ende des zweiten Korridors. Auf ihr Klopfen blaffte er eine Antwort, diesmal durchaus im Stil von Jeremy Paxman.
Joss trat ein und musste fast lächeln. Das kam der Sache schon näher. Zumindest ein Stück weit. Sämtliche Oberflächen waren von Zeitungsbergen bedeckt, wenn auch in ordentlichen Stapeln; Papierschnipsel ragten aus Ordnern in den Regalen; an zwei Computern wirbelten Bildschirmschoner mit dem Logo des Winterbrook Advertiser , und auf drei spitzen Notizhaltern mit den Aufschriften »Gesetzt«, »Steht« und »Gestorben« stapelte sich seitenweise Papier, sodass sie aussahen wie winzige Weihnachtsbäume.
Der nette, blasse, glatzköpfige Mr Brewster lächelte flüchtig und bedeutete ihr, Platz zu nehmen. »Mrs Benson. Schön, Sie kennen zu lernen. Netter Artikel. Aber es wäre wirklich nicht nötig gewesen, dass Sie sich persönlich hierherbemühen.«
»O doch.« Joss erwiderte sein Lächeln. »Ich wollte aus verschiedenen Gründen lieber nicht von zu Hause aus über das reden, was Sie mit mir besprechen möchten.«
Mr Brewster zog die sandfarbenen Augenbrauen hoch, äußerte sich aber nicht weiter zu ihren persönlichen Verhältnissen. »Eigentlich habe ich gar nichts mit Ihnen zu besprechen.«
Joss verließ aller Mut.
»Nein«, fuhr er fort, »es tut mir leid, wenn Sie dachten, ich hätte es mir anders überlegt und wollte Ihnen nun doch einen Job als freie Mitarbeiterin anbieten – obwohl ich mir natürlich gern alles ansehe, was Sie bei
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