Sommerprickeln
»Shane! Shane!« Dann schaute er auf, lächelte schüchtern und wagte ein neckisches Zwinkern, aber hauptsächlich saß er auf einem alten Barhocker und sang.
Annajane hatte noch nie den Blödsinn über Frauen geglaubt, die sich in Musiker verliebten. Aber bis dahin hatte sie auch noch nicht Shane Drummond gekannt.
Sie meinte, das Lied schon einmal gehört zu haben, wahrscheinlich auf einem der lang zurückliegenden Familientreffen in der Hütte ihrer Tante. On the Other Hand sei ein Country-Klassiker, erklärte er ihr später, der von den Großen der Szene wie George Jones, Keith Whitley und George Strait gecovert worden war. Aber Annajane hatte das Stück über einen verheirateten Mann, der von einer Frau in Versuchung geführt wird, noch nie so gehört, wie Shane es an jenem Abend sang. Seine tiefe Stimme war authentisch und schön, und er legte Gefühl in jedes einzelne Wort.
»Ich habe dich schon zweimal angerufen«, sagte Shane jetzt verwirrt. »Hast du meine Nachrichten nicht bekommen?«
Natürlich hatte sie die erhalten. Aber sie wollte ihm nicht erzählen, dass sie auf der Hochzeit ihres Exmannes gewesen war, als er anrief.
»Mein Handy ist irgendwie kaputt«, sagte sie. »Was denn für eine Nachricht?«
»Ich habe gesagt, ich liebe dich und du fehlst mir«, sagte Shane. So war er von Anfang an gewesen. So offen und freimütig.
In der ersten Nacht in der Bar hatte sie ständig im Kopf gehabt, es sei spät, sie müsse nach Hause, aber sie hatte nicht gehen können. In der Pause begab sich der Rest der Band an die Theke, wo die Männer von Frauen umringt wurden, die ihnen Getränke ausgaben, lachten und flirteten. Gelangweilt sah sich Annajane die E-Mails auf ihrem Handy an, als neben ihr ein Stuhl über den Boden schrammte. Sie sah auf, und vor ihr stand der Dobro-Spieler.
Er hielt ein Glas Weißwein in der Hand. »Der Barkeeper meinte, du hättest eben so was getrunken«, sagte er.
Annajane nahm den Wein an und bat ihn, sich zu ihr zu setzen. Ein niedliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, die Grübchen wurden tiefer. Kurz ging ihr ein Gedanke durch den Kopf – Würde dieser Mann nicht hübsche Kinder zeugen?
Er sah zur Bar hinüber, wo seine Bandkollegen Schnaps tranken und mit den Frauen flirteten. Auch Annajane schaute hin und merkte, dass einige der Frauen sie mit ihren Blicken am liebsten erdolcht hätten. Der Musiker wollte etwas sagen, hielt inne, setzte erneut an und grinste dann nur.
»Was ist?«, fragte Annajane.
»Mir fällt nichts ein, was ich zu dir sagen könnte, das sich nicht wie eine dumme Anmache anhört.«
»Oh.«
»Du hast bestimmt schon alle dämlichen Sprüche der Welt gehört«, sagte er schließlich.
»Eigentlich nicht.« Das meinte sie nicht kokett. Annajane war nie viel in Kneipen und Bars unterwegs gewesen, nicht mal auf dem College. Und sie konnte sich ehrlich nicht erinnern, dass sie mal irgendwo angesprochen worden wäre. Sie war zwar ganz hübsch, aber zog einfach nicht diese Art von Aufmerksamkeit auf sich.
»Das kann ich kaum glauben«, meinte er. »Ich heiße übrigens Shane.«
»Das habe ich schon von deinem Fanclub erfahren«, erwiderte sie lachend. »Ich bin Annajane.«
»Ein hübscher Name, Annajane«, sagte er. »Ein bisschen schräg, bisschen altmodisch. Bist du ein altmodisches Mädchen?«
»Ich wurde nach meinen beiden Großmüttern benannt«, erklärte sie. »Und nein, ich bin nicht besonders altmodisch.«
»Bist du ein Bluegrass-Fan?«
»Auch nicht richtig«, gestand sie. »Aber eure Musik hat mir gefallen. Du hast eine tolle Stimme.«
»Danke.« Wieder diese Grübchen.
»Dein Name gefällt mir wirklich«, sagte er nachdenklich. »Ich habe eine Schwäche für lange Namen. Gut für Songtexte.«
»Schreibst du selbst?«
Er zuckte mit den Schultern. »Versuche ich hin und wieder. In solchen Läden wie hier ist das hart, das Publikum will das, was es kennt. Also Rocky Top und den ganzen Scheiß. Was ist mit dir, womit verdienst du dein Geld?«
Sie nippte an ihrem Wein. »Ich arbeite in der Marketingabteilung einer Getränkefirma.«
»Cola?«
Sie lachte. »Schön wär’s. Nein. Für Quixie – kennst du das?«
»Der erfrischende Durstlöscher, klar, damit bin ich praktisch aufgewachsen«, sagte er. »Wird das nicht irgendwo hier in der Gegend produziert?«
»Unsere Zentrale ist in Passcoe«, erklärte Annajane. »Hm … wenn du Quixie kennst, kommst du bestimmt aus Carolina, oder?«
»Aus Gastonia«, bestätigte er. »War
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