Sommerrot
ihm tatsächlich ist, dass ich wieder komme. Ich decke den Tisch für zwei Personen und bereite Soße, Fleisch und Kräuterbaguette vor, so dass alles nur noch erwärmt werden muss. Draußen beginnt es bereits zu dämmern, als es an der Tür klingelt. Mirabell hat es offensichtlich schneller geschafft, als erwartet. Ich reiße die Tür auf und starre entgeistert in sein Gesicht. Es wirkt matt und verzweifelt. Nichts mehr ist von der Kraft und Wut der letzten Tage übrig geblieben. Diese Seite von Tino kenne ich noch nicht. Seine leeren Augen mustern mein Gesicht.
« Haben sie meinen Brief erhalten, Frau Sommer?», fragt er ausdruckslos.
Ich nicke stumm. Ich sollte ihn noch immer hassen, f ür sein Verhalten, aber es gelingt mir nicht. Eine Welle von Mitleid überkommt mich widerwillig.
« Und nehmen sie mein Angebot an?»
« Ja!», flüstere ich.
Meine Wut ist und bleibt komplett verflogen, bei seinem traurigen Anblick. Stattdessen zieht er mich wieder magisch an. Ich m öchte ihn streicheln und tröstend in die Arme schließen.
« Dann sehen wir uns morgen früh im Büro?»
Die Monotonie seiner Stimme passt zu dem erschlafften Ausdruck in seinen Augen.
«Ja!»
« Gut!»
Er nickt und dreht sich um. W äre das vielleicht ein möglicher Zeitpunkt ihn nach dem Grund seiner Wut zu fragen? Ich entscheide mich dagegen, in der Angst, dass meine Frage den Zorn in ihm wieder aufwirbeln könnte. Ich sehe ihm nach, wie er über den Gehsteig davon läuft. Als er die Tür seines Autos erreicht, dreht er sich noch einmal zu mir um. Wir sehen uns an und ich erinnere mich wehmütig an die wundervollen Gefühle, die sein Blick bei unserer ersten Begegnung in mir ausgelöst hatten. Es kommt mir so vor, als spüre ich auch in seinen Augen die Wehmut, aber aus der Ferne lässt sich das nicht mit Bestimmtheit sagen und wahrscheinlich entspringt das eher meinem Wunschdenken, als der Realität. Ich schließe die Tür, lehne mich dagegen und atme tief ein und aus. Diese letzte Begegnung wühlt mich innerlich auf und ich kann mir nicht so recht erklären, weshalb. Ich gehe ins Wohnzimmer zurück und öffne die oberste Schublade der Kommode. Dort liegt es, sorgfältig hinter Glas gerahmt. Ich hatte es von der Wand abgehängt, an dem Tag, als Tino mich vom Grab seiner Eltern fort schleifte. Ich streiche sanft über die Glasplatte und verliere mich in den Gesichtern darauf. Der sanfte Kuss, den die Lippen andeuten, erinnern mich an das Gefühl, als mich Tinos Lippen das erste mal berührt hatten. Was mache ich hier eigentlich, durchfährt es mich plötzlich. Ich muss ihn mir ein für allemal aus dem Kopf schlagen. Seine unberechenbaren Stimmungswechsel bringen mich am Ende noch ins Irrenhaus. Ich schiebe die Schublade rasch zu, als es wieder an der Tür klingelt. Mein Herz pocht nervös, als ich öffne. Dieses mal blickt mir Mirabell freudestrahlend entgegen. Sie fällt mir stürmisch um den Hals und wir drücken und wiegen uns hin und her.
« Ich freu mich ja so, dich endlich wiederzusehen! Wie lange ist das jetzt her?»
« Ach frag nicht! Es kommt mir jedenfalls wie eine halbe Ewigkeit vor!» antworte ich. «Komm! Ich helfe dir erst einmal mit dem Gepäck!»
Wir ben ötigen fast eine halbe Stunde, um Miras voll beladenes Auto leerzuräumen und das Gepäck in ihrem neuen Zimmer zu verstauen.
« Das Auspacken hat doch bis nach dem Essen Zeit, oder?», frage ich.
« Na klar, ich bin so erledigt, dass ich sowieso erst einmal nur das Nötigste ausräumen werde.»
« Jetzt setzt du dich erst einmal an den Esstisch. Ich hab nämlich für uns gekocht! Es muss nur noch aufgewärmt werden.»
« Hey, ich helfe dir natürlich dabei. So kaputt bin ich nun auch wieder nicht.»
Als wir nach f ünf Minuten gemeinsam das Essen genießen, dreht Mirabell so richtig auf.
« Du hast es wirklich schön hier, Lena. Alles gemütlich und schlicht eingerichtet, da werde ich mich sicherlich sehr wohlfühlen. Und Platz haben wir zu zweit ja auch mehr als genug!»
Ich nicke zustimmend.
«Wie war denn die Fahrt? Bist du gut durchgekommen?»
« Ja, alles perfekt! Aber jetzt musst du mir endlich erzählen, was auf deiner Arbeit los ist!»
Ich reiche ihr Tinos Brief.
«Der Brief sagt doch schon alles, oder?»
Mirabell liest das Schreiben zwei mal durch, als k önnte sie nicht glauben, was da stand.
« Sag mal, der hat doch einen an der Waffel, oder? Was soll das denn? Hast du ihm die Freundin ausgespannt, oder was hat der für ein Problem?»
«
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