Sommersonnenwende (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
das ein jeder von uns in sich trägt, um die Unschuld, das Staunen, die Neugier, die Fantasie und den Drang zu lernen. Das alles ist es, was wirkliche Macht hervorbringt.“
Arrow hielt inne, denn plötzlich wurden ihr die Zusammenhänge der Worte, die der Keylam aus dem Sumpf der Erinnerungen zuletzt gesprochen hatte, bewusst. Nun begriff sie, was er damit gemeint hatte, als er gesagt hatte, Laris verfüge über eine Magie, die dem Guten entsprungen war, und ihr wurde klar, warum die Nixen sich auf einmal so eigenartig verhalten hatten, waren sie doch für ihr kindliches Wesen bekannt. Zugleich erklärte es auch, warum die kindliche Magie Keylam unbekannt war, denn er selbst wurde über Jahrzehnte aus Erinnerungen erschaffen und hatte nie wirklich erfahren dürfen, wie es sich anfühlte, ein Kind zu sein.
„Wenn es das ist, was du begehrst, warum suchst du es dann nicht bei wirklichen Kindern? Die Macht in ihnen dürfte von weitaus größerem Wert sein als bei jenen, die ihre Kindheit längst hinter sich gelassen haben.“
„Weil Kinder diese Dinge nicht so leichtfertig hergeben wie all die anderen. Ein Kind kennt keine Furcht und es schreckt auch nicht davor zurück, die Welt für sich mit eigenen Augen zu entdecken. Erwachsene jedoch halten sich an jedem noch so dünnen Faden fest, den sie ihr Leben nennen, und geben kampflos alles auf, um nicht dem Tod ins Auge sehen zu müssen. Denn sie haben bereits gelernt, wie es ist, allein zu sein, einen Fehler zu begehen und alles zu verlieren, was das Leben lebenswert macht.“
„Dann benötigst du also so etwas wie eine Erlaubnis, um ihnen das Kindliche zu entziehen?“
„So ist es und du würdest staunen, wie leicht man sie bekommt.“
„Und nun erwartest du von mir, dass auch ich dir all diese Tugenden einfach so überlasse? Da stellen sich mir doch zwei Fragen. Zum einen interessiert es mich, warum du erst jetzt damit kommst, und zum anderen würde ich gern wissen, für wie schwach du mich tatsächlich hältst, dass du annimmst, ein so leichtes Spiel mit mir zu haben?“
Laris lächelte und schlich dann weiter um sie herum. „Der Zeitpunkt könnte besser nicht gewählt sein. Schließlich hattest du noch eine Aufgabe für mich zu erfüllen. Denn glaube mir, all die Nyriden waren nicht einmal halb so viel wert, als sie noch nicht vereint waren. Jetzt aber, da sie wieder zueinander gefunden haben und ihr Leben wieder einen Sinn hat, wächst das Kind in jedem von ihnen. Zwar verfügt keines davon über solch eine Macht, wie sie in dir zu finden ist, dennoch sind sie alle kostbare Geschenke, die ich nur ungern ungebraucht abtue. Denn du musst wissen, dass nicht jedes Wesen über Kindliches verfügt. Viele von ihnen werfen es im Laufe der Jahre einfach weg, lassen es ungenutzt sterben, weil sie sich nur noch von Hass und Habgier leiten lassen.“
„So wie du?“, fragte sie tollkühn.
„So wie der Elf, der deinen Bruder verraten hat. Er dachte, es würde ihn stark machen, all diese Tugenden abzulegen und sich auf das zu besinnen, was seiner Überzeugung nach von Belang wäre, aber er hat sich geirrt. Als Handlanger war er eine Weile nützlich, doch für mich nicht von größerem Wert als jene, die ich bereits ihrer Kinder beraubt hatte. Er hat sich so leicht allem gebeugt, was ich von ihm verlangt habe, und nie irgendwelche Fragen gestellt. Eine Verschwendung, wenn man bedenkt, dass selbst einem wie ihm einst ein solcher Schatz innegewohnt hat.“
„Denkst du etwa, dass du die bessere Entscheidung getroffen hast, indem du deinen Schatz, wie du ihn so schön nennst, den Todsünden überlassen hast?“
„Nun, sie haben ihn dankbar angenommen und mir im Gegenzug die Macht verliehen, mit der ich bei Sonnenanbruch zum Herrscher über diese Welt ernannt werde. Und sobald ich hier fertig bin, kehre ich zurück zu den Menschen, die das gleiche Schicksal erwartet. Allerdings werde ich es ihnen nicht so leicht machen wie den Geschöpfen hier. Vorher werden sie noch lernen, welche Konsequenzen es hat, wenn man einen zukünftigen Herrscher über Jahrhunderte in einen Hügel sperrt.“
„Welche Gegenleistung erwarten sie dafür?“, fragte Arrow abfällig.
„Nicht mehr als das, was sie bereits erhalten haben“, entgegnete er ganz selbstverständlich.
„Wirklich?“, erwiderte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. „Du denkst, der kleine Funken von dem, das du als das Kind in dir bezeichnest, ist der ganze Preis, den du zu zahlen hast? Mich nennst du eine
Weitere Kostenlose Bücher