Sommersonnenwende (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
Närrin, hast aber selbst nie darüber nachgedacht, was danach kommt? Wie es sein wird, zwischen zwei Welten zu wandeln, deren Geschöpfe nur noch wie Marionetten dahinvegetieren, bis sie letzten Endes irgendwann aussterben? Wenn du tatsächlich so klug wärst, wie du es von dir behauptest, wäre dir längst bewusst, dass du selbst nichts anderes als die Marionette der Todsünden bist. Doch all der Hochmut, den sie dir zukommen lassen haben, gibt dir das Gefühl, gleichwertig zu sein. Und wenn ich mit meiner Behauptung richtig liege, dass sie vorhaben, all die Tugenden auf ewig auszulöschen, dann beweist das wieder nur einmal, dass das Böse unendlich viel dümmer ist als es den Guten immer unterstellt wird. Denn nur wo Licht ist, kann auch Schatten existieren. Dem Tugendhaften ist das bewusst und er versucht ein Gleichgewicht herzustellen. Der Sündige jedoch, der alles für sich allein beansprucht, unterzeichnet mit seinen Taten sein eigenes Todesurteil und es fällt ihm erst dann auf, wenn es längst zu spät ist.“
„Weise Worte“, lachte Laris spöttisch. „Aber ihr, die ihr euch die Guten nennt, habt ohnehin eine Vorliebe für unsägliches Geschwafel. Nie lasst ihr euren Worten Taten folgen. Du jedoch wirst die Ausnahme bilden. Denn während ich heute Nacht als alleiniger Herrscher in die Geschichte eingehe, darfst du dich glücklich schätzen, mir dabei helfen zu dürfen. Vor einer ganzen Weile, als ich veranlasst habe, deinen Mann in die Unterwelt zu verschleppen, war für dich nämlich ein ganz anderes Schicksal vorgesehen. Es wäre so einfach gewesen. Er wäre fort und du hättest über all deine Trauer jeden Funken Gutes in dir verloren. Zu jenem Zeitpunkt warst du ohnehin nicht mehr weit davon entfernt, dich selbst zu verlieren. Für mich wärst du dann nicht mehr gewesen als der elfische Handlanger, jedoch hättest du mir nicht mehr im Weg gestanden. Aber siehe da, tatsächlich geschehen ist etwas, das ich nicht vorhergesehen hatte, und was mir im Nachhinein sehr viel mehr noch zu Gute kommt, als ich es mit meinem Plan bezweckt habe. Denn du hast die Kraft gefunden, meinem Vorhaben zu trotzen und darüber hinaus bist du mit einem weitaus stärkeren Schatz zurückgekehrt, als ich es je für möglich gehalten hätte. Zum krönenden Abschluss wirst du letzten Endes auch noch zur Blauen Lady. Das alles ist eine Entwicklung, die meine kühnsten Träume übersteigt.“
„Sind das all die Dinge, die dir die Schattenwesen zugetragen haben?“
„Oh“, entgegnete er abschätzig und schnalzte mit der Zunge. „Schattenwesen verfügen über großartige Fähigkeiten. Zum Bespitzeln eignen sie sich am besten. Was bedauerlicherweise nicht zu ihrem Können zählt, ist das Gedankenlesen.“
Dann holte er ein kleines Buch aus seiner Manteltasche. Er schlug es auf und begann zu lesen:
„Mein geliebter Sohn, mittlerweile verbringe ich schon so viele Wochen in Nebulae Hall, dass ich aufgehört habe, sie zu zählen. Doch sie kommen mir ohnehin schon wie Jahre vor und ich weiß noch nicht einmal, ob der Frühling bereits Einzug gehalten hat. Nach wie vor vermisse ich dich und deinen Vater, den ich noch ... Ach, was lese ich das alles? Du kennst es ja bereits. Aber hier, das ist eine meiner Lieblingsstellen ... die meiste Kraft schöpfe ich noch immer aus meinen Gedanken an dich. In Liebe deine Mutter Rührend, nicht wahr? Man sollte meinen, dass alle Mütter so für ihre Kinder empfinden. Das würde mir meine Suche erheblich erleichtern. Bedauerlicherweise ist das jedoch nicht immer der Fall.“
„Woher hast du das?“, fragte sie erschrocken.
„Diese Frage ist überflüssig. Mittlerweile dürfte dir bekannt sein, was ein Geminusbuch ist.“
Leeren Blickes betrachtete sie das Buch. Das andere Exemplar hatte sie von Sally erhalten. Auf diese Seiten hatte sie ihre liebevollsten Gedanken und ihre größten Ängste niedergeschrieben. Es waren Worte, die ganz allein für ihren Sohn bestimmt gewesen waren, und nun waren sie jemandem bekannt, der ihren schlimmsten Alpträumen entsprungen war und in direktem Kontakt mit den Todsünden stand.
„Du weißt, dass er das alles nie lesen wird, wenn ich dieses Buch ins Feuer werfe?“, fragte Laris, formte seine Hand zu einer Faust und warf einen magischen Feuerball auf einen Busch, der augenblicklich in Flammen aufging. Dann fügte er hinzu: „Wird eines von beiden zerstört, ereilt das andere genau dasselbe Schicksal.“
„Und was verlangst du, um es zu
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