Sommersonnenwende (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
verreisen?“
„Du meinst außerhalb des Waldes?“, entgegnete sie mit großen Augen. „Geht das denn? Normalerweise kann ich diesen Ort nicht verlassen.“
„Das ist richtig, doch unser Ausflug wäre eine Ausnahme. Ich könnte dich an einen wunderbaren Ort bringen, an dem du deinem Kummer für eine Weile Lebewohl sagen kannst. Zu gegebener Zeit müsste ich dich allerdings wieder hier her zurückbringen.“
„Und Frau Perchta und Frau Gaude würden das erlauben?“
„Das vielleicht nicht unbedingt“, erwiderte Arrow, die das Mädchen nicht anlügen wollte. „Doch ich verspreche dir, dass du dafür keinerlei Ärger bekommen wirst.“
„Muss ich denn dafür irgendetwas tun?“
„Nein, gar nichts. Ich benötige nur dein Einverständnis.“
„Dann möchte ich mit dir kommen.“
Arrow fiel ein Stein vom Herzen. Sie beugte sich wieder zu dem Mädchen, nahm es auf den Arm und hängte ihr das Amulett, dessen Band lang genug war, um es um beide Hälse zu tragen, um. Dann lief sie los und verwandelte sich in einen Wirbelwind.
Emily war unglaublich leicht. Zugleich ging von ihr eine Kälte aus, wie Arrow es von keinem Winter kannte. Es fühlte sich rauer, trockener und unwirklicher an. Kaum, dass sie mit ihr die obere Waldgrenze passiert hatte, ertönte auch schon das Gebell von Frau Gaudes Hunden. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Die Wachen hatten Alarm geschlagen. Alles, was sie jetzt noch tun musste, war, so schnell zu fliegen, wie sie nur konnte. Dass sie jetzt noch den Túatha Dé Danann in die Hände fallen würde, war angesichts der außerplanmäßigen Jagd unwahrscheinlich. Und die Tatsache, dass sie von Perchtas Heer eingeholt werden könnte, nahm sie gern in Kauf. Eine andere Möglichkeit, wieder nach Hause zurückzukehren, bestand schließlich nicht.
Die Schneeflocken peitschten ihr noch immer ins Gesicht, denn auch der Wind hatte bisher kaum nachgelassen. Bei einem flüchtigen Blick nach unten erspähte sie schlafende Dörfer und hoffte inständig, dass diese von der Zerstörungswut der alten Könige verschont blieben.
Hinter sich vernahm sie Schreie. Die Perchten waren ihr dicht auf den Fersen. Sie versuchte schneller zu fliegen und stieß dabei beinahe an ihre Grenzen. Allein der Wunsch, ihr Kind und ihren Mann endlich wieder in die Arme schließen zu können, trieb sie noch weiter voran, als sie es für möglich hielt. Doch als sie plötzlich einen kräftigen Ruck an ihrem Fuß spürte, schienen alle Anstrengungen umsonst gewesen zu sein. Einer der Perchten hatte seine mächtige Klaue um ihre Fessel geschlungen und versuchte, ihren Flug zu bremsen. Fast schon sah sie sich zum Aufgeben gezwungen, als aus dem Amulett plötzlich das Lachen ihres Sohnes ertönte und der Percht daraufhin seinen Griff lockerte. Gerade sah Arrow noch, wie er überraschten Blickes von ihr abließ, als plötzlich der Tag anbrach und er sich mitsamt den Schreien des übrigen Heeres in Luft auflöste.
In diesem Moment wusste sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, denn ein Stück des Weges lag noch vor ihr, und nun hatten die Truppen der Túatha Dé Danann wieder freie Bahn.
Ein unerwünschter Gast
Gerade, als Arrow zur Landung in dem Gebirge ansetzen wollten, entdeckte sie, dass jemand an genau der Stelle verweilte, an der sie bei Einbruch der Nacht auf die Banshees gewartet hatte. In der Hoffnung, nicht von ihm bemerkt worden zu sein, flüchtete sie sich hinter den Felsen des nächstgelegenen Gipfels.
„Ist dies der Ort, von dem du mir erzählt hast?“, fragte Emily unbeeindruckt.
„Nein“, flüsterte Arrow. „Aber wir sind fast da. Bevor wir unsere Reise fortsetzen können, muss ich jedoch noch etwas erledigen. Bitte versprich mir, dass du hier solange auf mich wartest.“
„Du willst mich allein lassen?“
„Keine Sorge, ich werde mich nicht weit entfernen. Doch während ich weg bin, darfst du dich nicht von der Stelle rühren.“
Arrow streifte das Band über ihren Kopf und ließ das Amulett anschließend unter Emilys Kleidern verschwinden. Dann schaute sie vorsichtig hinter dem Felsen hervor.
Auf dem anderen Gipfel hockte, ihr den Rücken zugewandt, eine schlanke Gestalt mit langem, weißen Haar, die offenbar versuchte, die Spuren im Schnee zu deuten. Arrow wunderte das, hatte es doch während der ganzen Nacht so stark gestürmt und geschneit, dass von ihren Abdrücken und denen der Banshees nichts mehr übrig sein dürfte.
Als die Person sich plötzlich erhob, fuhr es ihr durch Mark und
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