Sommersonnenwende (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
lange daran hindern, die ganze Kontrolle über mich zu bekommen. Es hatte es schon auf Fenrirs Tod abgesehen. Letzten Endes war ich aber noch so präsent, dass ich es davon abhalten konnte. Deshalb bin ich im Grunde eigentlich erleichtert, dass es nun so gekommen ist.“
„Und weißt du auch noch, wie du es geschafft hast, den Dämon wieder zu vertreiben?“, fragte Arrow erwartungsvoll.
„Nicht so genau. Doch ich glaube nicht, dass es etwas war, das ich getan habe. Es muss an dem Wasser liegen. Darin war irgendwas, ein Zauber oder eine Macht, wie ich sie nie zuvor verspürt habe. Es hat sich so rein angefühlt, beinahe unschuldig.“
„Unschuldig?“
„Klingt seltsam, oder? Aber so ist es tatsächlich gewesen. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich, dass es dieses Wort am besten trifft.“
Arrow musterte die Kleine. Von dem Häufchen Elend, das sie erwartet hatte, war keine Spur zu finden. Einerseits verspürte sie darüber große Erleichterung. Auf der anderen Seite jedoch stellte sie sich die Frage, was es wohl mit diesem Wasser auf sich hatte. All die Erlebnisse der letzten Tage erschienen ihr wie Teile eines übergroßen Puzzles, das auf den ersten Blick nicht zusammenpasste und doch irgendwie miteinander verwoben sein musste.
„Aber jetzt stehen wir hier und erzählen“, sagte Emily plötzlich ganz aufgeregt. „Dabei haben wir dafür gar keine Zeit und ich muss dir unbedingt zeigen, was ich entdeckt habe.“
„Du hast recht“, entgegnete Arrow, als würde sie aus allen Wolken fallen. „Aber ich fürchte, deine Entdeckung muss noch eine Weile warten. Der Empfang beginnt bald und wir müssen noch zurück zum Schloss.“
„Aber das kann nicht warten!“, erwiderte Emily ungeduldig. „Ich weiß jetzt, wo die Abaläe ist!“
Arrow zuckte zusammen, denn ganz plötzlich fiel ihr wieder der Traum ein, den sie unmittelbar vor dem Zwischenfall mit Emily hatte. Bisher hatte sich alles genauso zugetragen. Das Umherirren durch die Gänge auf der Suche nach dem Kind und ihr plötzliches Auftauchen mit der Information, dass sie die Abaläe gefunden hatte.
„Komm!“, sagte Emily euphorisch und zerrte an Arrows Hand.
Eine Weile liefen sie durch die Tunnel, und Arrow wurde ganz bang bei dem Gedanken, dass es so enden könnte wie in ihrem Traum. Zwar hatte sie nicht die geringste Ahnung, warum sie sich selbst in dieser geheimnisvollen Gestalt gesehen hatte, doch nach allen Erlebnissen fürchtete sie, dass es nichts Gutes bedeutete.
Langsam wurden die Tunnel schmaler und die gefrosteten Flammen schwächer. Etwas Mächtiges ging von diesem Ort aus. Etwas, das sie schon die ganze Zeit über im Eislabyrinth und der Schlossanlage gespürt hatte, doch mit jedem Schritt, den sie voranging, wurde dieses Gefühl stärker, als näherte sie sich der Quelle dieser Energie.
Als sie in einen weiteren Gang einbogen, wurde Emily plötzlich langsamer. Am Ende dieses Tunnels war zu erkennen, dass er in einen großen Raum führte, und noch bevor sie diesen betraten, erkannte Arrow eine weiße Gestalt, die in einen Umhang gehüllt mit dem Rücken zu ihnen auf dem Boden kniete. Ehrfürchtig betrat sie die Höhle und ging langsam um die Person herum.
„Hat sie mit dir gesprochen?“, fragte Arrow, während ihr Herz vor Aufregung immer schneller schlug.
„Sie kann nicht reden“, entgegnete Emily verdutzt. „Es ist nur eine Skulptur.“
Erleichtert atmete Arrow auf. Vielleicht nahm es doch eine ganz andere Wendung als in ihrem Traum.
„Und hast du inzwischen herausgefunden, was genau es mit ihr auf sich hat?“
„Nicht so wirklich. Allerdings gibt es auf der anderen Seite eine Inschrift in der Sprache der Eiselfen.“
Neugierig ging Arrow um die Skulptur herum und betrachtete sie von vorne. Ihr Gesicht war von einer Tarenianischen Maske bedeckt und aus ihren Augen liefen unablässig kristallklare Tränen, die auf den Boden in eine Rinne fielen und wie in einem Bach durch eine Öffnung auf der gegenüberliegenden Seite aus der Höhle flossen. Auf einem Schild davor stand ,Abaläustyttan stendur fyrir þá sem gráta börnin sín og hvert tár fyrir sérhvert barn sem hefur týnst‘ geschrieben.
„Ich beherrsche diese Sprache nicht“, murmelte Arrow enttäuscht. „Gleich morgen werde ich mit Smitt diesen Ort noch einmal aufsuchen. Er wird mir sagen können, was diese Worte bedeuten.“
Emily rollte mit den Augen. „Da steht: ,Die Abaläe, stellvertretend für all jene, die um ihre Kinder
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