Sommersonnenwende (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
war.
Und als der Geisterzug beendet war, ging Arrow mit den Perchten über die Schwelle, die sie zum Ort ihrer Alpträume führte. Ein letztes Mal wandte sie sich um und bevor sich das schwere Tor, das Nebulae Hall von der Zwergenstadt trennte, schloss, schaute sie in Keylams Gesicht. Umgeben von den Gargoyles, die ihn in Abaläss unterstützen sollten, stand er da und musterte sie schwermütig. Das neue Jahr war zwar noch sehr jung, doch vermochte es bisher nicht viel Gutes mit sich zu bringen. Denn in jener Nacht brach ihr Herz nun schon zum zweiten Mal.
Lautlose Blitze flimmerten in der Ferne. Es war unheimlich, denn es vermittelte den Eindruck, als würden die Schatten ein merkwürdiges Eigenleben entwickeln. Von den Nyriden war weit und breit nichts zu sehen. Kaum, dass die Perchten den Geisterzug aufgelöst hatten, waren sie auch schon in alle Richtungen verschwunden.
Arrow zog ihren Mantel noch enger um ihren Oberkörper. Es war ungemütlich und kalt an diesem Ort. Zwar waren die Temperaturen nicht so niedrig wie in Abaläss, doch die ganze Atmosphäre ließ Nebulae Hall trostlos erscheinen. Es war feucht und verwüstet. Ein fauliger Gestank lag in der Luft. Und dann diese Erinnerungen. Die Schreie waren noch immer allgegenwärtig, hier natürlich noch mehr als anderswo.
Für gewöhnlich vermochte Whispers warmes Leuchten einen Funken Zuversicht in ihr aufglimmen zu lassen, doch selbst das blieb dieses Mal aus. Denn dem Rappen, das spürte sie, behagte es an diesem Ort ebenso wenig, was gewiss auch daran lag, dass Arrow ihn zu ihrer beider Sicherheit wieder in ihr Medaillon geschickt hatte. Sie wusste nicht, was in diesen Ecken auf sie lauerte und wollte nichts dem Zufall überlassen. Und so versteckte sie ihn zusammen mit dem Schlafenden Amulett unter ihren Kleidern.
Vom Kopfe der Treppe, die aus dem einst so prachtvollen Schloss führte, ließ sie ihren Blick in die Ferne schweifen und fragte sich, ob sie sich jemals zuvor so verlassen gefühlt hatte. Fast kam es ihr so vor, als wäre sie ganz allein an diesem Ort eingesperrt, um für das zu büßen, was sie in jener besagten Nacht ausgelöst hatte.
Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie sich etwas bewegte. Die Hand an dem Messer, das Keylam ihr am Tag zuvor gegeben hatte, wirbelte sie erschrocken herum. Einen Moment lang war sie gewillt zuzustechen, doch sobald sie den General erkannte, entspannte sie sich wieder. Es war seltsam. Die Perchten gehörten zu den furchteinflößendsten und hässlichsten Wesen, die sie je gesehen hatte, und doch fühlte sie sich sicher in ihrer Gegenwart.
„Wir erwarten Euren ersten Befehl“, sagte er. „Was sollen wir tun?“
Mit gemischten Gefühlen ließ Arrow ihren Blick wieder in die Ferne schweifen und betrachtete das unheilvolle Lichtspiel.
„Nichts, fürs erste. Sie haben eine lange Reise hinter sich. Bevor wir zur Tat schreiten, sollten wir sie ein wenig rasten lassen.“
Das Zimmer am Ende des Korridors
Neben den Perchten hielt sich ein gutes Dutzend anderer im Schloss auf. Zu wenige, um es wirklich mit Leben zu füllen. Bon, der erst am Abend zuvor beschlossen hatte, Arrow von Zeit zu Zeit in Nebulae Hall beizustehen, war gerade damit beschäftigt, die Schlafgemächer zuzuteilen. Und sie war froh, ihn an ihrer Seite zu wissen. Letzten Endes kannten die Zwerge diesen Ort besser als alle anderen, die ihn je besucht hatten. Zwar hatten sie sich sehr zurückgezogen, nachdem aus der Höhle ein paradiesisches Fleckchen geworden war, dennoch wussten sie um jeden Winkel, kannten jeden Spalt und jedes Schlupfloch, das es auszumerzen galt. Und Nebulae Hall war groß, zu groß, um es in nur zwei Wochen zu erkunden und alles darüber wissen zu können, was ein Zwerg wusste.
„Du siehst müde aus“, stellte der Riese besorgt fest.
„Es war ein langer Tag. Und obwohl bis auf den Einzug noch nichts weiter geschehen ist, war es dennoch sehr anstrengend.“
„So, wie du das sagst, hört es sich an, als ginge es um eine Belanglosigkeit. Dabei ist der erste wichtige Schritt getan und niemand ist dabei zu Schaden gekommen. Vermisst wird, soweit ich weiß, auch niemand.“
„Ein großes Ereignis war es zweifellos, doch ich habe nicht das Gefühl, dabei eine besonders wichtige Rolle gespielt zu haben. Trotzdem bin ich erschöpft. Wenn ich so darüber nachdenke, drängt sich mir die Frage auf, wie ich mich wohl fühlen werde, wenn ich an der Reihe bin, die nächsten Schritte zu tun.“
Zuversichtlich lächelte Bon
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