Sommerzeit
keinen Kontakt mehr.«
»Wissen Sie, warum nicht?«
»So was kommt wohl vor, man lebt sich auseinander.«
»Wie gut befreundet waren sie?«
»Morgan war ein Jahr älter als Peter, sie waren also nie in einer Klasse. Aber als Morgan dreizehn war, passierte etwas sehr Tragisches. Seine Eltern kamen bei einem Autounfall ums Leben. Er war das einzige Kind, deshalb wurde er zu seinen Großeltern gegeben, die nur einen Steinwurf von uns entfernt in Slite wohnten. Morgan ging es nicht sehr gut, nach allem, was er durchgemacht hatte, aber Peter hatte hier in der Gegend viele Freunde, und er und Morgan verstanden sich sofort, so dass auch Morgan in die Clique aufgenommen wurde. Danach waren sie viele Jahre lang unzertrennlich. Sie verreisten zusammen, Interrail und so. Aber so nach und nach verlief ihre Freundschaft dann im Sande. Ich weiß nicht, warum.«
»Haben Sie ihn nicht gefragt?«
»Doch, schon, aber ich kann mich nicht erinnern, was Peter mir darauf geantwortet hat. Er war schon längst von zu Hause ausgezogen, und Morgan ebenfalls. Sie wohnten damals beide in Visby. Aber es ist doch so mit Freundschaften, die kommen und gehen. Man kann nicht davon ausgehen, dass sie das ganze Leben halten. Das ist wie bei allem anderen auch.« Katarina Bovides Stimme versagte, sie schien die Fassung zu verlieren. Knutas dankte für die Auskünfte und beendete das Gespräch.
D as Boot legte an der nordöstlichen Landspitze in der Nähe des Leuchtturms an, nur einige Minuten Fußweg vom Lagerplatz entfernt. Das Wetter war perfekt, sonnig und windstill, und es waren dreiundzwanzig Grad. Karin hätte fast vergessen, dass sie wegen einer Mordermittlung hergekommen war. Der Strand breitete sich endlos vor ihr aus, Kilometer um Kilometer, so weit das Auge reichte, bis er dann hinter der nächsten Landspitze in der Ferne verschwand. Sie hatte kaum je einen breiteren Strand gesehen, und der Sand war feinkörnig und fast weiß.
Es war halb drei Uhr nachmittags, und sie wollte kurz baden, ehe sie die Angestellten auf der Insel nach Morgan Larsson fragte. Im Moment waren alle mit den Neuankömmlingen beschäftigt. Das Gepäck wurde auf einen Karren geworfen, der dann von einem Traktor geholt wurde, dem einzigen Fahrzeug, das in dem lockeren Sand vorwärtskam. Die Besucher mussten über einen Bohlenweg gehen, der über dreihundert Meter durch den Sand bis zum Lager führte.
Erst kamen sie an Fyrbyn vorbei, einer Ansammlung von roten Holzhäusern mit weiß abgesetzten Holzblenden und gepflegten Gärten. Diese Häuser gehörten dem
Heimatverein von Gotska Sandön. Die Vereinsmitglieder und die Aufseher wohnten im Sommer in den Häusern und verbrachten im restlichen Jahr ab und zu ein Wochenende dort.
Karin atmete tief durch, frischere Luft hatte sie noch nie gekostet. Aus dem Wald strömte Tannennadelduft mit Einsprengseln von Moos, gemischt mit Meeresluft.
Mitten auf dem offenen, von Ferienhütten umgebenen Platz stand ein kleines Museum mit Bibliothek und Archiv. Dort befand sich auch das Büro des Aufsehers. Der war allerdings gerade auf der anderen Seite der Insel und würde erst in ungefähr einer Stunde eintreffen.
Der Weg führte weiter zum Lagerplatz für die Sommergäste. Um einen großen offenen Platz standen Hütten und Zelte. In der Mitte lagen gemeinsam benutzte Räumlichkeiten zum Kochen, Waschen und Duschen. Ein Stück davon entfernt waren die Toiletten aufgebaut, eine lange Reihe von Plumpsklos. Das einzige Trinkbare, was auf der Insel angeboten wurde, war Brunnenwasser, alle übrigen Getränke und Lebensmittel mussten mit der Fähre gebracht werden. Es gab keinen Kiosk, keinen Laden, nichts. Allein das war hier schon ein Erlebnis.
Karin begriff, dass sie wohl über Nacht bleiben musste, da sie erst so spät am Nachmittag angekommen war, und ihr wurden eine Hütte, Kleidung und etwas zu essen gestellt.
Rasch richtete sie sich in der Hütte ein, zog ihren Badeanzug an und ging am Lager vorbei zum westlichen Strand hinüber. Sie hätte gern gewusst, wo Morgan Larsson gewohnt hatte, wenn er hier war, und ob er allein auf der Insel gewesen war. Sie hoffte, dass die Angestellten
Buch über die Gäste führten und die Listen wenigstens für einige Tage aufbewahrten.
Der Weg zum Strand führte durch den Wald. Karin konnte sich nicht erinnern, jemals eine solche Stille erlebt zu haben. Sie blieb stehen und lauschte. Keine Automotoren, keine Menschenstimmen, nicht einmal ein Rauschen der Bäume. Das Meer war ganz still.
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