Somnambul Eliza (German Edition)
Lektüren und Recherche verbrachte, wobei sie Wilberts Qualitäten als Butler erst richtig zu schätzen
lernte und sich dabei ertappte, wie sie ihre Bedenken erst zögerlich, dann
nahezu vollständig über Bord warf. Es gab hier einfach keine Haushaltspflichten
und keine Telefonate, die sie von ihrer Arbeit abgehalten oder abgelenkt hätten
und Wilbert versah seinen Dienst so diskret, dass sie es, in ihre Bücher
vertieft, manchmal nicht einmal bemerkte, wenn er frischen Kaffee oder einen
Teller mit Gebäck brachte. Am Samstag war sie von der ungewohnten Umgebung noch
häufig abgelenkt worden und hatte sich mehrfach dabei ertappt, wie sie den
Blick ungläubig durch den hellen Raum mit seiner eleganten Einrichtung, seiner
hohen Decke und den Stuckverzierungen schweifen ließ, der nun ihr Domizil war.
So eine Umgebung hatte sie sich für sich und ihre geliebten Bücher immer
gewünscht und Valeriu hatte ihr diesen Wunsch von den Augen abgelesen und ohne
ersichtlichen, handfesten Grund in Erfüllung gehen lassen, wie es sonst nur Dschinns und Gute Feen im Märchen tun. Sie hatte immer
wieder über den Schreibtisch hinweg durch das große, zweiflüglige Fenster in
den spätherbstlichen Park hinabsehen müssen und dabei festgestellt, dass dies
einer der privilegiertesten Orte war, den sie sich für ihre Arbeit vorstellen
konnte.
Am
Abend hatte Wilbert für sie gekocht und Valeriu hatte sie beim Essen vorzüglich
unterhalten. Mittlerweile hatte sie sich an die Tatsache gewöhnt, dass er nicht
mit ihr aß. Anschließend waren sie im Kino gewesen und Eliza hatte das Flair
und den Charme des Metro-Kinos in der Johannesgasse kennen und lieben gelernt.
Der nostalgische, stilvolle Kinosaal aus dem 19. Jahrhundert mit Emporen, roten
Samtsesseln und dunklen Holzverkleidungen, dem man seine Theatervergangenheit
nicht nur wegen seiner der Leinwand vorgelagerten Bühne ansah, ließ das Herz
jedes Cineasten höher schlagen. Und ein cineastisches Meisterwerk war es denn
auch, das an diesem Abend mit Michelangelo Antonionis Filmkunst-Klassiker Blow
Up im Rahmen einer retrospektiven Filmreihe auf dem Programm stand. Es war ihr
erster gemeinsamer Kinobesuch und Eliza war sich nicht sicher, ob sie nicht
einen romantischeren Film hätten wählen sollen. Doch andererseits war dies hier
eine echte Perle der Filmgeschichte und wenn sie auch keine Romantik zu bieten
hatte, so doch die wunderbare Musik Herbie Hancocks und der Yardbirds und die
fantastische, magische Bildwelt Antonionis. Außerdem waren sie im Küssen
mittlerweile recht erprobt und hatten die intime Dunkelheit des Kinosaals nicht
mehr für erste Annährungsversuche nötig.
Als die
Beleuchtung herabgedimmt wurde und Valeriu seinen Arm
wie selbstverständlich um Elizas Schulter legte, wurde ihr vielmehr bewusst,
wie wunderbar es war, diese erste aufregende, von ständiger Nervosität geprägte
Phase hinter sich gelassen zu haben, in der sie sich dauernd gefragt hatte, ob
sie sich nicht falsche Hoffnungen machte und Angst hatte, sie könne für ihn nur
ein kurzfristiger Zeitvertreib sein. Dass dem nicht so war, hatte Valeriu in
den letzten Wochen auf so vielfache Weise eindrucksvoll bewiesen. Auch wenn ihn
noch immer die Aura des Geheimnisvollen umgab, so war er ihr doch ungemein
vertraut geworden und ihn vollends zu enträtseln erschien ihr gar nicht mehr so
dringlich. Eliza kuschelte sich in Valerius Umarmung und ihre Hand tätschelte
ebenso selbstverständlich sein Knie, wie die seine mit ihren Locken spielte.
Dann
fuhr ein Jeep voller lärmender Clowns über die Leinwand.
Blow Up hatte begonnen. Vordergründig war der mit David Hemmings und Vanessa Redgrave
perfekt besetzte Film ein genau beobachtetes, lebendiges Portrait des Londons
der Swinging Sixties und ein auf Zelluloid gebanntes Denkmal der Popkultur. Er
erzählte die Geschichte eines angesagten, doch gelangweilten und zynischen
Londoner Modefotografen, der neben seinen Modelshootings an einem künstlerisch
ambitionierten Dokumentarbildband arbeitet. Auf der Suche nach neuen Motiven
macht er in einem Park heimlich Fotos von einem Paar, doch die Frau entdeckt
ihn und verlangt die Negative. Von ihrem übertriebenen Interesse an den Bildern
fasziniert, gibt er ihr die falsche Rolle, um die Bilder in Ruhe im Labor
entwickeln zu können. Auf der akribischen Suche nach dem Grund für ihr immenses
Interesse stößt er bei der Vergrößerung, dem Blow-Up-Verfahren, schließlich auf
eine unscharfe Szene im Hintergrund: eine
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