Somnambul Eliza (German Edition)
letzten Blick auf den rotschillernden Opal, dann wandte sie sich zum
Gehen.
Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch ging
sie den Korridor entlang und schritt langsam die Treppe hinab.
„Miss Hoffmann. Wie geht es Ihnen? Wir
haben uns Sorgen um Sie gemacht.“
Wilbert kam ihr auf der Treppe entgegen,
jederzeit bereit, sie zu stützen.
Sie konnte seine Frage nicht
beantworten. Sie wusste selbst nicht, wie es ihr ging. Also fragte sie
schlicht: „Wo ist Valeriu? Kann ich ihn sehen?“
Wilbert nickte und hielt ihr seine alte
Hand hin.
„Kommen Sie, ich bringe Sie zu ihm.“
Eliza folgte Wilbert die Treppe hinab
und durch die Eingangshalle. Dann standen sie vor der Tür, die ins Kellergeschoss
führte und Eliza scheute ein wenig zurück.
„Folgen Sie mir. Ich versichere Ihnen,
dass Ihnen da unten nichts passieren wird.“
Widerstrebend stieg Eliza hinter Wilbert
die eindrucksvolle Treppe hinab. Der Vorraum und der breite Korridor waren hell
erleuchtet und dennoch fühlte sich Eliza einmal mehr an die Katakomben eines
alten Schlosses erinnert.
„Wo sind die Ionescus ?“
wollte sie wissen.
„Sie haben sie gerade verpasst. Sie
haben sich vor einer halben Stunde auf den Heimweg gemacht, wegen der
Dämmerung“, erwiderte Wilbert und die Antwort versetzte Eliza einen leichten
Schlag in die Magengrube.
„Hierentlang bitte“, wies ihr Wilbert
den Weg und dann standen sie vor der doppelflügeligen Tür, hinter der sich angeblich Valerius Antiquitätensammlung befand.
Es kostete den alten Mann offenbar eine
Menge Kraft, die schweren Türen zu öffnen und tatsächlich waren die beiden
Flügel nur beidseitig mit dickem Holz verkleidet. Dazwischen gab es eine
mehrere Zentimeter breite Stahlschicht.
Eliza hielt den Atem an, als sie in den
Raum blickte, den Valeriu ihr so lange vorenthalten hatte.
In einem überbreiten, gediegenen, aber
nahezu schmucklosen Bett aus dunklem, schwerem Holz mit einem hochgezogenen
Art-Déco-Kopfteil lag er und sein freier, bandagierter Oberkörper hob sich nur
durch ein leicht perlmuttartiges Schimmern von den weißen Verbänden ab, die man
ihm angelegt hatte. Valeriu hob den Kopf nicht, als Eliza den Raum betrat und
sein Atem ging flach und unregelmäßig.
Bestürzt trat Eliza an seine Seite und
legte zögernd die Hand auf seine eisige Stirn.
„Sein Körper kann sich in den
Nachtstunden nicht regenerieren, aber gleich wird der Tag anbrechen und der
Heilungsprozess wird einsetzen“, erklärte Wilbert, der sich zu ihr gesellt
hatte.
Eliza schaute den alten Mann
verständnislos an.
„Sein Organismus funktioniert anders als
unserer. Wir haben ihn über Nacht mit dem Notwendigen versorgt. Jetzt werden
seine Selbstheilungskräfte alles Weitere erledigen. Sie sollten nicht hierbleiben.
Sie können in den nächsten Stunden nichts für ihn tun und den Anblick dessen,
was mit ihm geschieht, würde ich Ihnen lieber ersparen. Ruhen Sie sich lieber
aus und warten Sie auf den Abend“, empfahl Wilbert und der Ton seiner Stimme
war kein bisschen anklagend, sondern durch und durch aufrichtig und
freundschaftlich.
„Was wird denn mit ihm passieren?“
wollte Eliza wissen und sie konnte ihre Furcht nicht verbergen.
„Nun, es ist ein ganz normaler Vorgang,
nichts Besorgniserregendes, aber eben doch beängstigend, wenn man es zum ersten
Mal erlebt“, erklärte Wilbert und er fuhr fort: „Er wird in einen
außerordentlich tiefen, erneuernden Schlaf fallen, der äußerlich vom Zustand
des Todes kaum zu unterscheiden ist. Er wird keinen wahrnehmbaren Herzschlag
haben, keine Atmung, keine Reflexe oder Reaktionen anderer Art. Das ist
lebensnotwendig und es geschieht jeden Tag aufs Neue. Aber er ist in diesen
Stunden auch völlig wehrlos und verwundbar. Daher zieht er sich in diesen Raum
zurück, der vom Anbruch des Tages bis zum Einbruch der Nacht nur von innen und
nur von dem Baron selbst zu öffnen ist.“
„Ich möchte bei ihm bleiben, Wilbert“,
hörte sich Eliza selbst sagen.
„Ich möchte Ihnen wirklich davon
abraten, Miss Hoffmann. Die Entscheidung liegt natürlich bei Ihnen. Aber die
Zeit drängt und ich werde gleich gehen und die Tür hinter mir schließen. Sie
werden dann mit ihm hier eingesperrt sein, bis die Tür sich bei Sonnenuntergang
automatisch entriegelt oder der Baron sie öffnet.“
Eliza nickte. „Gut. Ich werde trotzdem
bleiben. Aber eine Frage habe ich noch, Wilbert. Wie konnte Valeriu nachmittags
am Bahnhof sein?“
„Das ist in der Tat eine gute Frage,
Miss
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