Somnambul Eliza (German Edition)
Platz zu nehmen und fragte sie, was sie trinken wollte. Sie
entschied sich lediglich für ein Glas Wasser und er ging zu dem Buffet hinüber,
auf dem eine mit Wasser und eine mit Wein gefüllte Kristallkaraffe
bereitstanden, nahm ein Wasserglas und ein Rotweinglas heraus, die beide am Stiel
ein plastisches, gläsernes Medusenhaupt zierte, und schenkte ihnen beiden ein.
Dann ließ er sich auf dem Sessel neben ihr nieder und sagte: „Auf deinen
gelungenen Semesterbeginn“, während sie mit den kostbaren Versace-Gläsern
anstießen.
Noch ehe er sein Glas das erste Mal zum
Mund führte, holte er wieder das kleine Fläschchen aus seiner Hosentasche
hervor und träufelte einige Tropfen hinein. Aber bevor er es wieder in seiner
Tasche verschwinden lassen konnte, lag Elizas Hand auf der seinen und zwang ihn
zärtlich, ihr das Fläschchen zu überlassen. Valeriu lächelte und gab das
Fläschchen frei. In einer sauberen, nostalgisch anmutenden Handschrift stand
mit schwarzer Tinte darauf geschrieben: Sangre del dragón . Eliza runzelte die Stirn: „Eine
Flüssigkeit, die sich Drachenblut nennt, macht auf mich nicht gerade den
vertrauenerweckendsten Eindruck. Hat dir ein Arzt diese merkwürdige Tinktur
verschrieben?“
Valeriu nahm das Fläschchen schnell
wieder an sich, ehe sie hätte kosten können und sagte: „Das ist ein altes
homöopathisches Mittel aus dem Regenwald des Amazonas. Es ist fantastisch für
Menschen mit chronischen Magenbeschwerden.“
Währenddessen war Cosmin zu Eliza auf die Couch gesprungen und beschnupperte neugierig ihren Rock und
ihre langen blonden Haare. Der Kater machte Anstalten, auf ihren Schoß zu
klettern und Valeriu sagte entschuldigend: „Er ist für gewöhnlich nicht so
distanzlos. Schieb ihn einfach weg, wenn er dich stört.“
Eliza schüttelte den Kopf und legte die
Stirn in Falten: „Warum sollte ich ihn vertreiben? Er ist ein wirklich tolles,
wunderschönes Tier.“
„Bitte mach ihm nicht zu viele
Komplimente. Er ist ja offenbar sowieso schon völlig in dich verliebt. Er wird
sich darauf etwas einbilden, wenn eine so schöne Frau ihm schmeichelt. Es ist eigentlich
nicht seine Art, sich Fremden derart an den Hals zu werfen, musst du wissen.“
Eliza kraulte Cosmin hinter den Ohren und der Kater schnurrte tief und sonor, während sie das Thema
wechselten und Valeriu sie fragte, wie sie sich mittlerweile in Wien eingelebt
habe und ob sie Kassel und ihre Familie vermisste. Er fragte nach ihren Eltern
und ob sie Geschwister habe. Er stellte ihr noch eine Reihe weiterer Fragen und
schaute sie dabei so intensiv und interessiert an, dass er Eliza das Gefühl
vermittelte, ihre Lebensgeschichte sei für ihn und die Welt in diesem
Augenblick von größtmöglicher Bedeutung. Eliza erzählte ihm, dass sie ein
Einzelkind war und dass ihr Vater Professor für Ägyptologie sei und ihre Mutter
eigentlich Mathematik und Kunst auf Lehramt studiert habe, aber heute als
Antiquitätenhändlerin arbeite. Sie erzählte von den Reisen nach Ägypten, wenn
ihre Mutter und sie ihren Vater in den Schulferien bei seinen Ausgrabungen
besucht hatten und von ihrer Großmutter Sibylle, der extravaganten und
exzentrischen Modedesignerin und Esoterikerin, zu der Eliza ein ganz besonderes
Verhältnis hatte und die immer für sie da gewesen war.
Dann unterbrach sie sich selbst und
lächelte: „Ich glaube, du wärest ein phantastischer Psychiater. Interessiert
dich eigentlich wirklich, was ich dir erzähle oder beschäftigst du mich nur
weil du fürchtest, ich könnte dir all diese Fragen stellen?“
Valeriu wirkte amüsiert.
„Ich würde meine eigene und die Zeit meines
Gegenübers niemals mit Fragen vergeuden, deren Antworten mich nicht
interessieren. Ich fürchte, dazu bin ich viel zu sehr narzisstisch und
egoistisch veranlagt. Aber deine Geschichte, Eliza, interessiert mich mehr als
alles andere.“
Dabei schaute er sie mit diesem
ernsten, durchdringenden Blick an, bei dem seine wunderbaren zweifarbigen Augen
wie zwei dunkle Seen erschienen, in denen Eliza augenblicklich hätte ertrinken
können. Sie fühlte sich von seinen Worten geschmeichelt und sie spürte, wie ihr
die Röte der Verlegenheit ins Gesicht schoss. Doch er stellte weiter
unermüdlich seine Fragen und er schien wirklich alles von ihr wissen zu wollen
und Eliza wunderte sich selbst darüber, wie bereitwillig und leichtfertig sie
ihm Rede und Antwort stand.
„Wenn ich mich nicht so wach und klar
fühlen würde, würde ich dir
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