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Somnambul Eliza (German Edition)

Somnambul Eliza (German Edition)

Titel: Somnambul Eliza (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Nailik
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dass auch die Gliederschmerzen
immer noch anwesend waren. Es handelte sich um eine recht neue Publikation, die
sich mit der Kunst des 19. Jahrhunderts und der Jahrhundertwende im Kontext von
Spiritismus und Okkultismus befasste. Eliza hoffte in dieser Arbeit auf neue
Erkenntnisse zum Thema der Geisterfotografie, von dem Egon Schiele bei seinen
Doppel-Portraits eindeutig beeinflusst worden war. Doch die Autoren
beschäftigten sich in ihren oft kurzweilig geschriebenen, aber dafür nicht
immer ganz wissenschaftlich stichhaltigen Essays auch mit zahlreichen anderen
übersinnlichen Phänomenen, für die die damalige Künstler-Bohème durchaus
empfänglich gewesen war und die auch in Schieles Oeuvre die einen oder anderen
Spuren hinterlassen hatten. Eliza blätterte ein wenig unentschlossen zwischen
verschiedenen Aufsätzen hin und her, bis sie eine ganzseitige Reproduktion
eines Farb-Holzschnitts von Edvard Munch entdeckte, die ihr Interesse weckte.
    Vor einem schwarzen, höhlenartigen
Nichtraum beugte sich eine blasse Frau mit nacktem Oberkörper und wilder roter Haarpracht
über einen Mann im schwarzen Anzug, der ihr willig seine Halsbeuge darbot, in
die sie zu beißen schien. Das Bild strotzte regelrecht vor Ambivalenzen und
genau das war es, was Elizas Aufmerksamkeit fesselte. Das Werk verleugnete
seine expressionistische Herkunft und die Grobheit des Mediums Holzschnitt
nicht, und doch waren die Formen rund und organisch und die beiden Figuren
harmonisch zu einander ausgerichtet, so dass sie eine Einheit ergaben. Die
fließenden Haare der Frau erinnerten an die wallenden Locken der
Jugendstil-Schönheiten bei Klimt und der gefährlichen Femme Fatales bei Dante Gabriel Rossetti. Diese Frau war sinnlich und gleichzeitig
herb und gefährlich und ihre Locken umfingen ihr Opfer wie die Fangarme eines
Kraken.
    Das Bild leitete einen Artikel zum Thema
Vampirismus ein und Eliza begann zu lesen.
    Zunächst wurde ein knapper
geschichtlicher Abriss vom Phänomen des Vampirismus gegeben und die
historischen Paten, der grausame Karpatenfürst und Kriegsherr Vlad Tepes und die ungarische Blutgräfin Elisabeth Báthory , eingeführt. Anschließend ging es um bluttrinkende
Gottheiten bei Naturvölkern und frühen Hochkulturen und dann mit einem riesigen
historischen Sprung um die regelrechte Vampirpanik im
18. Jahrhundert. Eliza fand es ein bisschen albern, dass der Autor des
Aufsatzes so weit ausholte, doch aus unerfindlichen Gründen las sie trotzdem
weiter. Wie eine Welle der Hysterie schwappte der Vampirismus Mitte des 18.
Jahrhunderts aus Polen, Russland und dem Balkan sowie anderen Teilen Südosteuropas
mitten hinein in das Zeitalter der Aufklärung. Akribisch und mit
wissenschaftlichem Tatendrang wurden zahlreiche Fälle von unverwesten Menschenleichen protokolliert, die bei Nacht ihr Unwesen in ihren
Heimatgemeinden trieben. Eliza lernte, dass die meisten Symbole, Motive und
Merkmale, die man seither mit Vampiren in Verbindung bringt, etwa der
obligatorische Sarg, die benötigte Heimaterde, die Angst vor Knoblauch und
Kruzifix sowie die Tötung durch das Pfählen, aus dem ländlichen Aberglauben dieser
Zeit stammten.
    Dann wandte sich der Autor der
literarischen Adaption des Vampirmotivs in der
Romantik zu sowie mit einem erneuten Zeitsprung, der Neuinterpretation der Vampirfigur in Kunst und Literatur des Symbolismus. Im 19.
Jahrhundert wandelte sich das Image des Vampirs grundlegend vom untoten Schreckgespenst zum eleganten, todbringenden
Verführer – sei es in männlicher oder weiblicher Gestalt. Eine solche
hingebungsvolle und dadurch nicht minder grausame Vampirin hatte Munch in seinem Holzschnitt dargestellt. Erschöpft schlug Eliza den
dicken, schweren Band zu und ließ ihn auf ihren Schoß sinken. Ihr Kopf pochte
und ihre Arme taten vom Halten des mächtigen Buches weh.
    Sie schloss die Augen und war im
gleichen Moment weggedämmert.
    Sie erwachte erst, als ihre Wohnungstür
aufgeschlossen wurde. Eliza hörte Stephans tänzelnde Schritte auf dem Parkett
und sein leises Summen eines französischen Chansons.
    „Na, wie geht es unserem Sorgenkind
jetzt?“
    Eliza musste laut auflachen, als Stephan
mit einem weißen Häubchen mit rotem Kreuz auf dem Kopf in ihr Schlafzimmer
trat.
    „Ich dachte, gegen die Blumen da kann
ich sowieso nicht anstinken, daher hab ich dir was anderes mitgebracht“, sagte
er und balancierte eine Schachtel mit dem Aufdruck Demel K. u. K. Hofzuckerbäcker
Wien in der Hand, die er ihr mit den

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