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Somnambul Eliza (German Edition)

Somnambul Eliza (German Edition)

Titel: Somnambul Eliza (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Nailik
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mittelalterlichen Denkmustern
verwurzelt und von religiös-mystizistischem Irrglauben durchtränkt.“
    Valerius Worte klangen bitter, fast zu
emotional für jemanden, der über eine Heimat sprach, die er kaum kannte und
über eine Zeit die längst vergangen war. Dann streckte er sich, als wolle er
etwas von sich abschütteln und sein Körper entspannte sich wieder.
    „Möchtest du, dass ich dir wieder etwas
vorlese? Dabei kannst du ein bisschen dösen, wenn du magst.“
    „Ich weiß nicht, womit ich es verdient
habe, dass du mich so verwöhnst“, erwiderte Eliza und streichelte sanft sein
schönes Gesicht. Er beugte sich zu ihr herab und küsste sie zärtlich. Dann
legte er ihren Kopf behutsam beiseite und erhob sich, um im Arbeitszimmer nach
einem passenden Buch zu suchen. Kurz darauf kam er mit einer Auswahl von drei
in Frage kommenden Bänden zurück. Eliza betrachtete die Bücher, die er
mitgebracht hatte und stellte erstaunt fest, dass er genau ihre Lieblingsbücher
ausgewählt hatte.
    „Manchmal bist du mir wirklich
unheimlich“, sagte sie, „ich kann mich nicht erinnern, dir irgendwann eine
Liste meiner Lieblingsbücher gegeben zu haben.“
    „Das musstest du auch nicht“, entgegnete
er grinsend. „Aber es war ganz einfach, es herauszufinden. Dank deiner
sorgsamen Behandlung sehen die meisten deiner Bücher – abgesehen von den
antiquarischen Exemplaren – fast aus wie ladenneu .
Aber bei denen, die du offenbar wieder und wieder gelesen hast, konntest selbst
du es nicht vermeiden, Lesespuren zu hinterlassen.“
    „Respekt, Mr. Holmes“, lobte Eliza sein
detektivisches Talent mit einem Schmunzeln.
    „Nach welchem steht dir heute Abend der
Sinn?“ wollte Valeriu wissen, doch Eliza erwiderte, dass sie die Entscheidung
ihm überlassen wolle.
    „Die anderen Bücher sind mir selbst
wohlbekannt. Aber dieses schmale Büchlein kenne ich nicht.“
    Bei dem kleinen, schön gebundenen Buch
handelte es sich um Gilbert Adairs Träumer ,
ein sehr persönliches Portrait der 68er Bewegung in Paris und eine
Liebeserklärung an die Macht des Kinos, die vor einigen Jahren von dem
italienischen Filmpoeten und Enfant Terrible Bernardo Bertolucci kongenial
verfilmt worden war. Valeriu nahm Eliza wieder in die Arme und sie kuschelte sich
an seine Brust, während seine Hand erneut auf ihrer warmen Stirn zu liegen kam.
Mit seiner unvergleichlich sanft-herben Stimme begann er zu lesen. Das Buch
handelte von der Ménage à trois dreier Cinephiler , einem amerikanischen
Austauschschüler und einem französischen Zwillingspärchen, die im Paris des
Jahres 1968 ihre ganz eigene Revolution verwirklichten. Nach den Protesten
gegen die Absetzung des Cinématèque -Direktors Langlois und der daraus resultierenden Schließung der Cinématèque Française zogen sich Matthew, Théo und Isabelle
in die Intellektuellenwohnung der Eltern der Geschwister zurück und schufen
sich dort eine weltferne Enklave der Filmverehrung, der Infantilität und der
sexuellen Freiheit, die Homosexualität und Inzest einschloss. Es war ein
kleiner, kluger Roman mit zahlreichen intellektuellen Querverweisen und ein
Fest für Cineasten, doch es war auch eine hocherotische Novelle, die die
Grenzen der bürgerlichen Wohlanständigkeit zu sprengen verstand. Als Valeriu
die Stelle vorlas, an der Matthew die Geschwister nackt und eng umschlungen in
Isabelles Bett vorfindet, klang seine Stimme eigenartig belegt und Eliza meinte
zu erkennen, dass es nicht allein die erotische Spannung war, wegen der er um
Fassung rang und wegen der es ihm schwer fiel, weiterzulesen.
    „Widerspricht ihr Verhalten deinem
Moralempfinden?“ wollte sie wissen und schaute ihn prüfend an, während sie
sanft über den Arm streichelte, mit dem er das Buch hielt.
    „Nein, das ist es nicht. Ich denke, es
ist zu früh, an dieser Stelle über die beiden zu urteilen“, entgegnete er ein
wenig stockend.
    Dann las Valeriu weiter und seine Stimme
entführte Eliza mitten in das Jahr 1968 und in den flirrenden Mikrokosmos den
sich die Träumer geschaffen hatten. Die drei Protagonisten, ihre verwinkelte
Wohnung, die Filme, von denen sie sprachen und zu denen sie einander Quizfragen
beantworteten, wurden vor Elizas geistigem Auge lebendig. Sie meinte fast, das
Paris von damals hören, riechen und schmecken zu können und der Lärm der
studentischen Straßenproteste schien nicht nur durch das Fenster der Wohnung
der Träumer zu dringen, sondern auch durch ihr eigenes. Valeriu las ihr das
ganze

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