Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
wieder außer mir.
17.00 Uhr
Der Telefonmann war wieder da und hat den Blödsinn rückgängig gemacht. Hildegard reiste nach Berlin, es war ein ziemliches Durcheinander. Keine Ruhe zum Arbeiten. Und doch machte ich noch den 9. Januar. – Die Vertreter, in München, seien von M/B begeistert, sie monieren nur die abgeschnittene Hand auf dem«Cover», das muß also leider geändert werden, damit wir die Kunden nicht kopfscheu machen.
Ulla telefonierte.
23.00 Uhr
Habe noch mit Hildegard telefoniert, die mir sagte, daß Renate in der französischen Buchhandlung tatsächlich eine Stellung bekommen hat, sie kriegt für 35 Stunden 1700,- ausbezahlt.«Erst mal bis Weihnachten», heißt es. Ob ich den Chef bestochen hätte? fragt Renate. – Hildegard hat 4½ Stunden gebraucht nach Berlin. Es gebe nichts Leichteres, als mit dem Auto nach Berlin zu kommen, sagt sie.
Im TV sah ich mir wieder einmal die Reklamesendungen des Channel 9 an. Ich kann sie immer wieder sehen. Das einzige, was einem die Laune nicht nimmt.
Bush werde nur noch von 55% der Amerikaner für einen guten Präsidenten gehalten, heißt es. – Bilder von ein paar Arbeitern am Roten Meer, die das Öl mit der Schaufel abschippen, aufladen und 10 Meter weiter, landein, wieder auskippen. Debile Journalisten, die sich für Ausländer einsetzen.
Hildegard bezeichnet das Müsli, das sie täglich ißt, als eine geballte Köstlichkeit.
Nartum Mi 6. November 1991
Zwei Absahner aus Hagen sind da. Sie wundern sich über die Ms.-Massen.
Ernst Jünger hat mir das Album mit Eintrag zurückgeschickt. Habe mich sehr darüber gefreut.
Albumeintrag Ernst Jünger
Dem Herrn v. Plato aus Hagen hab’ ich gesagt, wenn er so großen Wert legt auf meine Arbeit, dann soll er mir mal den Dr. h. c. besorgen. Da ist er richtig zusammengefahren.
Regen.
Nartum Do 7. November 1991, Regen
I9I7: Große Sozialistische Oktoberrevolution
in Rußland
Zahnarzt. Er hatte wenig Zeit für mich, da er gerade einen neuen Röntgenapparat bekam, der an mir ausprobiert wurde. Die Herren sahen aus wie von der Stasi. Der Apparat koste 40 000 Mark, und er habe ihn nur durch Beziehungen bekommen. Alles gehe in die neuen Bundesländer, Lieferfrist hier zwei Jahre.
Es kam mir wie eine Geldanlage vor. Wenig Patienten, eigentlich gar keine. Seine Tochter sitzt schon am Tresen.
Der Tag war höllisch in jeder Beziehung. Abgesehen von der Zahnsache und der damit verbundenen Fahrerei nach Bremen hatte ich außerdem Kopfschmerzen und den Anflug einer Grippe. Pausenlos klingelte das Telefon, das meiste fing Simone ab. Die Hunde«klebten»an mir.
In der Nacht war ich wieder mal im Knast. Warum ich mich so über die Brücke beuge, wollte der Kommandant des in Auflösung begriffenen Lagers wissen. -«Das klingt so lustig, wenn der Bach durch die Steine murmelt», sagte ich.
«Trompeten»: Harry hat Déja-vu-Erlebnisse.
Rücken mit kleinen Leberflecken.
Nartum Fr 8. November 1991
Ununterbrochen Störungen. Ich kann kaum mal in Ruhe eine halbe Stunde arbeiten. ½10 bin ich nach Blumen- und Tierhütungen so weit, Frühstück zu essen, dann geht’s schon mit dem Telefon los. Heute früh außerdem ein Interviewer für NDR und der Mann von Telekom, der das Faxgerät brachte und anschloß.
«Echolot»: Je mehr Lücken ich schließe, desto unvollständiger wird das Ganze. Heute fing ich mit dem 12. Januar an, Konferenz von Casablanca beginnt, die wir bisher noch gar nicht«drin»hatten. Dem Spieltrieb muß widerstanden werden. Der Stoff darf nicht zugerichtet werden. Große Anordnungen ergeben sich von selbst. Die Idee mit den übergreifenden Zwischentexten ist gut, wir müssen nur welche finden.
«Casablanca»: Ich verstehe nicht, was die Leute an dem Film finden. Daß die Amis ihn mögen, überhaupt die Ausländer, kann ich verstehen. Aber wir? Die Sache stimmt doch vorn und hinten nicht. Und dieser sonderbare Sängerkrieg? – Hängt wohl mit unserem Staatsmasochismus zusammen.
Zahnarzt erklärte mir, was Plaque ist.
Heute nachmittag hatte ich einigermaßen Ruhe.
Morgen Jahrestag des Mauerfalls. Die Bevölkerung der«DDR»schwenke allmählich um, beginne, sich auf das neue Leben einzustellen.
Nartum Sa 9. November 1991
I9I8: Novemberrevolution in Deutschland
Schlimme Nacht, mit Leibkneifen ging es los, und dann erbrach ich mich mehrmals. Um ½ 4 Uhr war endlich Ruhe. Ich dachte schon, ich müsse den Notarzt rufen. Machte
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