Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
und Fotos raussuchen aus den Flohmarkttüten.
Wie reich ist unser Leben. Die Telefonate mit Berlin verlaufen nicht immer glücklich, leider. Aber es tut wohl, den Kontakt zu behalten. Auch kann ich mich besser mitfreuen und teilnehmen an allem. Nach einer Woche Pause erfährt man sonst ja so gar nichts.
Meine Mutter sei manchmal so ausgelassen gewesen, sagt Giesche 11 , die heute bei Hildegard und Renate in der Ottokarstraße zum Kaffee war.
Im TV wurden anläßlich der Einweihung einer Bibliothek vier ehemalige US-Präsidenten gezeigt, sie standen nebeneinander, Ford, Carter, Reagan und Nixon, ein schauriges Bild.
Nartum Mo 11. November 1991, Regen
Die Hunde nerven mich, pinkeln überallhin, wegen Hildegard, die sie natürlich vermissen. Und ganz bestimmt mache ich alles falsch. Ab und zu versammele ich sie um mich und rede ihnen gut zu, wie Daniel in der Löwengrube, und ich erkläre ihnen alles, aber sie scheren sich nicht drum.
Heute kamen die Fallada-Kopien. Dürftig und teuer.«Nischt drin, aber der Mensch freut sich.»
Im TV die Bohley und Peter Schneider und andere Ost-Leute, recht unerträglich. Ich weiß nicht, ob ich zu alt bin – ich verstehe gar nicht, was sie da zusammenquatschen. Wenn ich mich drüben informiere, höre ich ganz was anderes.
Große Politik: In Jugoslawien schießen sie wie verrückt aufeinander. Daß es in Serbien noch die Kommunisten sind, wird nicht erwähnt. – Jelzin hat die Kommunistische Partei in Rußland verboten.
Das schreibt man so hin!
Habe M/B heute endgültig weggeschickt. Letzte Korrekturen. – Umschlag steht noch immer nicht fest.
Bin müde und matt.
Renate heute ersten Tag in ihrer Buchhandlung. Sie hatte es sehr kalt dort. Muß eine gestreifte Weste tragen.«Kriegen wir auch ein Schiffchen?»hat sie Schüsseler gefragt.
In der Gesprächsrunde um Bärbel Bohley wurde moniert, daß die Bundesregierung Geld in die DDR gegeben habe und noch gebe. Damit werde alles zugekleistert. Über das«Zukleistern»sollten sie sich lieber freuen.
Nartum Di 12. November 1991
Es kam gestern abend eine Frau, sie wollte eigentlich zum Seminar, hatte sich im Datum vertan. Etwas merkwürdig. Sie sagte, der«Sirius»sei in ihrer Buchhandlung als«umstrittenes Buch»bezeichnet worden.
Die sonderbare Bohley gestern! Lanzmann habe sein«Shoa»nicht in Deutschland gedreht, weil der Mann, der in den Vergasungsautos die Gaspillen einwarf, sich nicht habe interviewen lassen wollen.
Wen Fechner alles interviewt hat! Und wie viele Anti-Nazi-Filme in Deutschland gedreht wurden!
In der Quadriga-Sendung fehlt das Schinkel’sche Eiserne Kreuz im Kranz der Siegesgöttin.
2007: Die Bohley wohnt jetzt in Kroatien.
Wellershoff sagte, Jörg Schröder sei damals ein unglaublich geltungsbedürftiger Mensch gewesen. (Ich lese gerade mal wieder«Siegfried»). Besaß ein Schloß und einen handzahmen Leoparden. KF hat ihn auf der Messe mal angesprochen, da war er ganz vernünftig.
«Man merkt’s mir nicht an, aber ich sterbe tausend Tode»(die zu früh gekommene Frau).
«Tun wir alles, damit sie sich wohl fühlen?»fragt die FAZ in einer Bildunterschrift, türkische Gastarbeiterfamilien sind gemeint. Jeden Tag den Nacken massieren.
Abends noch einen Hans-Moser-Film («Meine Tochter lebt in Wien») und für Simone«Frenzy», den ich zu zwei Drittel mit ansah.
Von einer Zeitung wurde ich über Kennedys Ermordung befragt, an was ich mich noch erinnere.
1. Daß dem Sprecher die Nachricht hereingegeben wurde, er las sie erblassend vor und dann:«Ja, die Politik ist rund und nicht eckig … Machen wir weiter mit Nachrichten.»(Ich aß gerade Tomaten mit Zwiebeln.)
2. Der Kitsch mit dem Pferd, das hinter dem Sarg, Stiefel verkehrtrum festgebunden,«nach alter Sitte».
3. Daß Frau Kennedy während der Schüsse versuchte, hinten auf das Heck des Wagens zu kriechen, von ihm weg, anstatt bei ihm zu bleiben.
4. Und dann, Onassis zu heiraten: Ob der ihr dann später mal welche gelatscht hat? Hysterisch war sie gewiß.
Kriminalistische Überlegungen Simones, daß die Frau gestern kalkuliert zu früh gekommen sei, um umsonst hier im Haus mich kennenzulernen. Hat was für sich.
«Es gibt ja echt die beknacktesten Sachen …»
«Sie denkt, daß ich das überhaupt nicht blicke.»
«Sie konnte sich nicht vorstellen, daß wir das locker blicken»(Aussprüche von Simone).
«Echolot»: 12. Januar endlich fertig, den 13. Januar grob
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