Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
aufeinandergestapelt – herunter.
Ein Ire bittet die Kommandantin, sein Kind als Pflegekind zu übernehmen.
Nartum Sa 2. November 1991
Halb 5, früh.
Gestern habe ich die letzten Korrekturen von M/B weggeschickt, eine ziemlich waghalsige Sache, da ich in den Schluß noch allerlei Jenseitiges eingebracht habe.
Gustav Mahlers«Kindertotenlieder», gesungen von einem Bariton, der zwar Hände, aber keine Arme hat, Thomas Quasthoff heißt er. Wunderbare Stimme. Er sang von dem Unglück, das sein Unglück ist.
Der Sturz ins Chaos, allgemeine Ruinierung. Mit der SU beginnt es, und dann folgen alle. Bei uns schaffen sie das auch noch.
Steuerberater Rechnung geschickt, monatlich 530,-! Unglaublich. – Durch den Wohnungskauf in Berlin sind wir etwas aus dem Tritt gekommen. Nächstes Jahr müssen wir das ausgleichen.
Mit Hildegard angenehm. Meine Zuneigung wird von Jahr zu Jahr größer.
Renate hat mit Schüsseler verhandelt wegen Job als Buchhändlerin. Hildegard will hinfahren für ein paar Tage.
Allerhand Ängste.
Bildarchiv in Ordnung gebracht. Schätze für den, der sich für Fotos interessiert.
«Hörzu»hat wieder nichts gebracht, seit Juni nicht. Ich glaube, meine Kolumne ist überhaupt nur dreimal erschienen. Gezahlt haben sie für August zum letzten Mal. So was hab’ ich noch nicht erlebt!
Habe Bittel allerhand Beschwerden vorgetragen, die er Paeschke weitergegeben hat. Besonders über die miese Lesereise und die unterlassene Werbung für«Sirius». Kein Mensch kennt das Buch. Tagebücher werden in Deutschland nicht gelesen.
Mit dem«Echolot»wieder von vorn begonnen. Dritter Durchgang. Gestern den 6. Januar bearbeitet. Es muß gekürzt und erweitert werden.
Feldberg hat noch immer nicht die Fallada-Briefe geliefert. Vielleicht kann Hildegard auf dem Weg nach Berlin vorbeischauen?
Witt in Leipzig über Kunze. Der habe als Stalinist die Entstalinisierung nicht verkraftet. Sei dann durch seine tschechische Frau 1968 bekehrt worden. – In München hat er den Bayerischen Verdienstorden aus der Hand von Franz Josef Strauß bekommen. Das regt die Leute hier mehr auf als seine Vergangenheit. – Ich würde auch gern mal einen Orden kriegen.
2007: Jetzt hört man nichts mehr von ihm.
13 Uhr
Schöne laue Luft. Ging ½ Stunde im Garten auf und ab. Hildegard war Besorgungen machen, und ich ordnete den 7. Januar 1943 nun zum dritten Mal. Wir stecken immer noch im rein Dokumentarischen. Es muß zusammengeschoben, verdichtet werden. Kommt Zeit, kommt Rat.
Kurz vor Mitternacht
Ein Schluck kaltes Wasser. Weich ist es, ich lasse es über das Glas laufen. Meine Mutter wollte auf ihrem letzten Lager kaltes Wasser trinken. Ich konnte ihr diesen Wunsch nicht erfüllen, da die Kaltwasserleitung in der Klinik neben der Warmwasserleitung installiert ist.
Langer Artikel von Raddatz auf Becher. Unverständlichschwankend.
Die Aichinger wird gefeiert.
Riesenanzeigen für das neue Buch der Maron überall.
In der ZEIT fragt ein Leser, wieso es kein Archiv gibt für Aufzeichnungen von Normalbürgern. Drei Seiten weiter meine Anzeige.
TV: Advertising-Sendungen der Amerikaner über Schnelllesen und Glasmalerei. Das ist Fernsehen in Reinkultur.
in den Sand gesetzt: wegen des Archivs, dessen Verkauf nun seit zehn Jahren betrieben wird und nicht zustande kommt. Ich neige nun doch zur Rostock-Lösung.
Kommt noch das Hagen-Geld dazu, 40 000 pro Jahr? Oder wieviel war es? Aber wir leben, und wir haben anderes dafür erstaunlich billig bekommen, so das Haus, auf dem keine einzige
Hypothek liegt, das abbezahlt ist, wie und wann und wovon – keine Ahnung.
In Hannover macht irgend jemand Stimmung gegen mich. Ich glaube, das kommt aus der linken Ecke.
Nartum So 3. November 1991
I9I8: Matrosenaufstand in Kiel:
Bildung des ersten Soldatenrates
Morgens den 8. Januar fertiggestellt, nachmittags nach Lütjenburg gedonnert, 200 km, Lesung, sehr voll, einigermaßen verdattert von M/B. Diverse Ostpreußen, die mir bestätigten, daß es dort, auf der Nehrung, genauso gewesen sei, wie ich es beschrieben. – Was Wunder, ich war ja da.
Eine Fanfrau mit all meinen Büchern, Frau Krüger, schenkte mir ein Bild von Rostock.
Rehkoteletts, hervorragend, nette Runde, darunter auch das Pfefferminz-Kind Tina aus Malente, die mir ein Bild ihrer kleinen Schwester mitbrachte, wie sie gerade den T/W liest. Zurückgedonnert. Nun todmüde im Bett: Mitternacht.
Nartum Di 5.
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