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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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vergessen, ich lieh ihm ein Nachthemd. Weitere Wellershoff-Zitate:
    «Ich bin schwindelig.»(Bezieht sich das auf sein Reden?)
    «Man weiß, daß man auf ein Motiv gestoßen ist, das plastisch und entwicklungsfähig ist.»
    «Die Gläser waren auf ein sauberes Geschirrtuch gestellt worden. »
    «Alptraumhafte Schäbigkeit ihrer Wohnung, düster-üppige Wohnhöhle.»
    Die Kühe vor dem Schreibtischfenster, belebte Landschaft.«Innere Windstille.»
    «Ich bin es, ich bin es nicht, muß der Leser immer wieder denken. »
    Auf eine Idee kommen. – Sie kommt doch auf uns? Oder? Woher? Aus einer Weltraumferne.
    Ich mag nicht, wenn die Teilnehmer vor Schluß gehen. Am letzten Tag teilen sie mir mit, daß sie irgendwas ganz Wichtiges erledigen müssen, und deshalb Auf Wiedersehen.

Nartum Mi 20. November 1991, Sonne
     
    Ein Gast verteidigte heute mittag doch tatsächlich das P. c.-Zeichen an den amerikanischen Universitäten!«Politically clear», diesen Zusatz, den die Professoren in ihre Personalakten kriegen, wenn sie niemals was gesagt haben gegen Minoritäten und gegen Frauen usw.! Unverständlich, daß er nicht sieht, wie widerlich das ist und zu welcher Heuchelei das führt. Auch meinte er, er würde jeden Taxifahrer sofort anzeigen, wenn der eine antisemitische Bemerkung macht!
    Das P.c.-Zeichen hat auch mit den Nazis was zu tun und mit der Stasi. Wer den Stempel nicht hat – zierliche Dozentinnenschrift -, ist gleich abgetan. Wohin mit ihm? – Die Stasi hatte schon Internierungslager vorbereitet. Gleich bis Dänemark, ja bis zum Atlantik durchzustoßen wäre für den Warschauer Pakt kein Problem gewesen. Alle Pläne bis ins kleinste ausgearbeitet. Haben das unsere Leute nicht gewußt? Wie beim Mauerbau: Laß sie man, ist nicht so schlimm. Und dann hat es fast 30 Jahre gedauert, bis sie das verfluchte Ding umgestoßen haben.
     
    2007: Mauern: Mexiko, Israel, ja, die Chinesen vor 1000 Jahren.
    Wo Mauern fallen,
bau’n sich andere vor uns auf,
doch sie weichen alle
unserm Siegeslauf …
(Nazi-Lied)
    Deiche. Stadtmauern. Sind sie«hübsch»? – Die Tore. Verteidigungsanlagen an Burgen. Bei mir fragen sie immer: Was sollen die Burgen? – Und da sind wir auch schon beim Atlantikwall. Der wird uns noch beschäftigen. – Daß auch die Seele des Menschen eine feste Mauer braucht …
     
    Zur Wiedervereinigung ein Professor:
    Ich wollte immer schon mal nach Berlin mit einer deutschen Fluglinie fliegen. Und als das nach der Wiedervereinigung losging, hab’ ich mir einen Flug gebucht, Lufthansa. Und ich komm’ zum Flugplatz, und da steht eine Maschine der Aerolloyd.«Wir fliegen im Auftrag der Lufthansa.»Beim zweiten Mal war es ein Clipper von PanAm. Und das ist mir von Hamburg aus dann noch einmal passiert: Monc Airways im Auftrag von Hansalloyd!
    Ein Filmregisseur:
    Zwei, drei Wochen nach den Ereignissen bin ich nach Ost-Berlin gefahren. Wir sind mittags in Hamburg losgefahren, endlos, und waren abends gegen sieben Uhr da, und die Sonne ging knallrot unter und beleuchtete die Mauer und die sozialistischen Losungen. Und ich bin«Unter den Linden»in ein Café gegangen. K. war dabei, das ist ja ein sehr schwer zu ertragender Mensch, ein Macho, versuchte mich dort mit einer Kellnerin zu verkuppeln, hat mich als TV-Regisseur vorgestellt, der Darstellerinnen sucht. Sie tat mir etwas leid, hat das für bare Münze genommen und war ganz angetan, hat sich dann gewundert, daß wir die Adressen nicht ausgetauscht haben.
    Ein Journalist:
    Ich wollte mein eigenes Wiedervereinigungserlebnis haben, ich wollte einmal durch das Brandenburger Tor gehen. Und ich komm’ da hin, und da seh’ ich: Das Brandenburger Tor war wieder zu! Da hatten sie wegen einer Veranstaltung den ganzen Bereich eingezäunt! Ich denke, ich träume! Aber ich habe da dann eine Lücke gefunden, und ich hab’ gesagt:«Ich gehe da jetzt durch!»- Die letzten Leute waren da beschäftigt (also«Typen»), und die sahen, daß ich da jetzt einfach durchging, und das war für diese Leute nun eine Gelegenheit, es mir, dem feinen Pinkel, mal zu zeigen, und die riefen dann:«Eh, Glatzkopf, Opa, komm zurück!»- Und ich ganz eisern da durch. Und als ich da durch war, sah ich, daß es an der Seite noch einen achten Durchgang gab, der offen war! Sieben waren zu, aber einer, ganz an der Seite, war offen, da hätte ich ohne weiteres durchgehen können.
    2007: Im Mai bis Juli die große Kempowski-Ausstellung an dieser Stelle: Pariser Platz. Wer hätte das gedacht? 16

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