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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Österreicher heilige Sondermenschen wären, die mit unserer gemeinsamen Vergangenheit nichts zu tun hätten.
     
    Im«Echolot»die Bemühungen von Torberg zu beweisen, daß die Österreicher keine Deutschen sind. Ich übernehme sie als Zwischentext. Ein schöner Fund! Es nützt ihnen nichts.
    Ich habe Torberg in Wien mal kennengelernt, oder war es auf der Buchmesse? Da machte er einen ganz vernünftigen Eindruck. Es war so, als ob er mich trösten wollte. Worüber?
     
    Die Tschechen jüngeren Alters sind der Meinung, daß die Sudetendeutschen von Hitler nach dem Anschluß ins Land gebracht wurden, deshalb habe man sie nach’45 rausgejagt.
     
    5 Mio. Ausländer leben in Deutschland. Mein Urgroßvater war wahrscheinlich Pole, und bei den«de Bonsacs»spuken Franzosen herum.
     
    Ein Ost-Pastor Joseph Dieckmann schreibt, als er (in der Schweiz!) vom Fall der Mauer gehört habe, sei er entsetzt gewesen! – Was für ein Land! Was für ein Scheißvolk. Nichts mehr hören und sehen.
     
    Streit um die sogenannte Abtreibungspille. Das wäre weniger schrecklich als die Absaugerei.

Nartum Fr 15. November 1991
     
    Es geht schon wieder los, das dämliche Gerede. Nun fangen sie an, die DDR zu verherrlichen. Las die ZEIT und verstand die Welt nicht mehr. Vielleicht bin ich schiefgewickelt? Was sind das bloß für Leute dort?
     
    Kuh jagt vor meinem Fenster ein Huhn. Meine Sympathien liegen auf seiten der Kuh. Was für ein gewaltiges Gedärm müssen sie dauernd mit sich rumtragen.
     
    «Echolot»: Ich arbeite am 15. Januar 1943.
    Blick aus dem Schreibtischfenster auf die sich braun färbende Wiese, ein paar Jungkühe stehen noch darauf, im Hintergrund die Kulisse des gelben Waldes.
    FAZ-Fragebogen: Der hochberühmte Historiker Prof. Jäckel nennt als Lieblingsheldinnen in der Wirklichkeit israelische Soldatinnen und«einige meiner Studentinnen». Er hätte gern der Mörder Hitlers sein mögen, und Papen und Hugenberg sind die geschichtlichen Gestalten, die er am meisten verachtet. – Sterben möchte er gern sitzend.

Nartum Sa 16. November 1991
     
    I950:«Theater der Freundschaft»in Berlin eröffnet
    Fünf Minuten vor Mitternacht
    Schöner Tag, gelassen, heiter. Hektische Vorbereitungen für Seminar (70 Gäste) – und dann der erste Nachmittag mit meiner Prosaformel und abends Wellershoff über den Tod seines Bruders.
    Ich erzählte Wellershoff von dem Bild, das Ernst Jünger in mein Album geklebt hat. Himself mit Borges höchstpersönlich. Warum mit Borges?«Weil er sich dadurch anerkannt fühlt», sagte Wellershoff.
    Verstärkte Zweifel am«Echolot». Muß das jetzt zum Abschluß bringen.
     
    Wellershoff ist schon so zu Hause bei uns, daß er sagte: So, wie wir den Tisch jetzt hingestellt hätten, in die Nische, so wäre es besser. – Offenbar sehr humorlos, der Mann. Glaube nicht, daß er was von mir gelesen hat. Sagt nie ein Wort über meine Sachen. Keins.
     
    Ein Herr gestern, er habe zwar noch nichts von ihm (Wellershoff) gelesen, aber … – Das muß man sich vorstellen. Kommt hierher, um u. a. Wellershoff zu hören, und kennt ihn überhaupt nicht. Eine andere Frau wußte ganz genau Bescheid: In dem und dem Buch habe er das und das gesagt.
    Für mich sind die Lesungen der Kollegen immer ziemlich unerträglich. Die meisten überziehen. Er las gestern 1.20.

Nartum So 17. November 1991, herrliches Wetter
     
    Internationaler Studententag
Tag des Metallurgen
    Der Freund von KF, Ammann, gab mir gestern wertvolle Formulierungshilfen für«Trompeten». KF sagte, das habe ihm Spaß gemacht. KF kam in seinem Triumph angesegelt, ein schönes Auto, ein guter Mensch.
     
    Erbitterte Diskussion über den Umschlag von M/B.
     
    «Roggenbrötchen sind sowieso bekloppt!»(Hildegard).
     
    Ich guck’ aus’m Fenster, da seh’ ich, daß der schwarze Bulle gegenüber auf die gleichmütige schwarze Kuh steigt. – Gardine zugeschmissen.
    Im Fernsehen lieben sie es neuerdings, Begattungen und Sterben zu zeigen. Ich frage mich: Muß das sein?
     
    Theorie: naiv-sentimentalisch, die Gegensätze. Alles altbekannt, doch keiner hat je davon gehört.
    Erst ein paar Beispiele geben aus dem Fundus.
    Thema: Der Zaun. Oder so was Ähnliches, Unkompliziertes.
     
    Der historische Teppich.
    «Wenn man ein starkes Thema hat, zieht es von allen Seiten Material an»(Wellershoff).
    Seine Lektorentätigkeit hätte er als reinen Brotberuf betrachtet.
    Böll wär’ sehr eigensinnig gewesen, um jedes Komma gerungen.
    Er hatte seinen Pyjama

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