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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Jahre danach. Und ich habe sie nicht einmal sehen können.

Nartum Do 21. November 1991, kalt, klar
     
    Das Seminar lief vom 16. bis 20., es war eine ruhige, angenehme Sache. Ich hatte mir vorgenommen, auf die Menschen absolut gutartig zuzugehen, und das zeitigte Wirkung. Wir hatten sehr tüchtige Helfer.
    Christian fürs Auto, Melanie und Kirsten für alles, und natürlich Simone. – Auch KF kam zeitweilig, sein Auto steht in Verden und wird dort repariert. Wie das so ist mit den englischen Autos.
     
    Wellershoff las wie gesagt eine Beerdigungssache, sein Bruder, die hart an der Grenze war. Stilistisch sauber und nach allen Seiten hin ausgebreitet, aber vom Thema her – ein ganzes Buch! – eine sogenannte Geschmackssache.
    Wenn man bedenkt, daß mein Großvater nicht einmal zur Beerdigung seiner eigenen Frau ging.
    Alma Mahler-Werfel.
     
    Hildegard hat der Runde erzählt, daß ich meinen Nacken nie wasche, daß also die Hemden und Nachthemden hinten am Kragen immer ganz fettig sind.

Nartum Fr 22. November 1991
     
    Schöner Sonnenaufgang.
    Die beiden Rostocker Schüler, Almuth und Joachim, waren mir sehr vertraut. Aber verbiestert! Das Mädchen hat sich auf Deutsch-Israelisches geworfen und rang die Hände, weil sie noch nie ein Foto von der Rostocker Synagoge gesehen hat. Und als ich sagte, daß ich eines hab’, ging sie quasi anbetend in die Knie. – J. hämmerte auf dem Klavier herum und sagte, er müsse so laut spielen, weil er im Konservatorium auf einem Schimmel-Steinway spielt, und der verlangt einen harten Anschlag.
    Bei Bavendamms Vortrag über Journalismus saßen sie in der Lotterecke und lasen. Ziemlich ungehörig. Aber sie waren mir angenehm. Leider brachte das Mädchen eine Erkältung mit, die ich mir einfing.
    TV: Kohl gestern«lief zu großer Form auf», als er Jelzin begrüßte. Er schickte ihn ans Pult zurück, weil er nichts über Honecker gesagt hatte. Breschnew habe auf dem Petersberg den Mercedes, den man ihm geschenkt hatte, sofort zu Schrott gefahren, wurde nebenbei gesagt.
     
    Ein Herr Späth, ein Teilnehmer, ließ sich im Archiv seine Einsendungen zeigen, er müsse das kontrollieren, damit auch alles seine Richtigkeit hat.
     
    Ich verkniff mir ein«Siehste!», als unser Schiffbruch-Bild von Drews und Vesper gelobt wurde.
    Ulla Hahn erzählte, sie sei von Jünger damals, als Borges da war, eingeladen worden. Sie sei dabeigewesen. Daß sie sich dadurch geschmeichelt fühlte, kann ich gut verstehen.
    Ihre Männer-quäl-Story ist ganz uninteressant, nicht provozierend, nicht spannend, nicht erotisch. Mit einem Wort: ekelhaft.
     
    Die Hamburgerin flüsterte mir zu, daß unsere Besucher die Teppiche umdrehen, ob sie echt sind.
    «Ja, das hab’ ich hier auch schon gemacht», sagte Herr Sp.,«sie sind tatsächlich alle echt.»
     
    Ich führte Drews in seinen Kurs ein mit den Worten:«Seien Sie recht nett zu ihm, er ist so empfindlich (sensibel).»
    Guntram erinnerte nochmals an das Berliner Schriftstellertreffen am Wannsee, zu dem ich gezielt nicht eingeladen wurde, obwohl die Veranstaltenden vorher hier bei uns gewesen waren, von mir eingeladen und bewirtet. Er meinte, der Widerstand der Leute gegen mich sei so hartnäckig gewesen, daß er jetzt meine, die Sache sei von außen gesteuert worden. Wer wohl noch alles«enttarnt»wird!
    Meine«Schassung»oder«Geschaßtheit»ließe sich dann irgendwann erklären. Aber auch, wenn es aufgedeckt wird, man bleibt weiter im Winkel sitzen. Deshalb am besten nicht dran rühren und beharrlich die Leser pflegen.
     
    2007: Es kam tatsächlich eine Postkarte von der Sowieso, die damals das Treffen organisiert hat, kürzlich, es täte ihr leid, aber der Druck sei zu stark gewesen. – Welcher Druck?
     
    Drews kam auf die Kramberg-Rezension in der«SZ»zu sprechen, er fand sie unmöglich. – Zu M/B sagte Drews kein Wort.
     
    2007: Das wiederholte sich nach Erscheinen von«Alles umsonst». Erst als Hildegard ihn angestoßen hat, Wochen später, hat er einen langen Ja-aber-Brief von sich gegeben.
     
    Guntram blätterte in meinem Tagebuch.«Was? Sechs Seiten für einen Tag? – Ich werde heute ins Tagebuch schreiben: Ausführlicher! »
     
    Ich habe so viel Arbeit.
     
    Der Buchhändler, dessen Frau in andere Gefilde aufgebrochen ist, wie er sagt, faßte meinen Ellenbogen an, berührte ihn mit zwei Fingern. Er pumpte mich an, und ich kriegte ein halbes Jahr später das Geld tatsächlich wieder! Hatte es schon verloren gegeben.
    Die Sachen schleifen

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