Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
(Hieronymus Bosch) wurde einstimmig abgelehnt, der Hockney-Vorschlag favorisiert, wie im Verlag. Ich stimmte schließlich zu, fand die goldene Brücke, daß der schöne blaue Zaun-Sonnentag eben trügerisch sei und durch den Inhalt des Buches in Frage gestellt. Ah! Bittel lehnte sich zurück, die Formel war gefunden, eilte ans Telefon, und im Verlag lehnten sich auch alle zurück:«Gott sei Dank! Geschafft!»Die Vertreter hatten aufgeschrien, als sie den Teller-und-Hand-Entwurf sahen. Pastior stimmte für die Hand, und weil er immer geschwiegen hatte, hatte seine Stimme enormes Gewicht, und beinahe hätte er uns rumgekriegt.
Hildegard war für den Acker-Umschlag. Das sei ein Umschlag für Lyrik, wurde gesagt.
Nun, die Zeichen stehen gut, mal sehen, was aus dem Kindlein wird. Meine Lesung wurde mit Schweigen kommentiert, die als Ergriffenheit zu deuten sei.
Ich las schnell, ohne Betonung. Man kann dieses Buch nicht durch Vortrag aufwerten.
Die«Echolot»-Präsentation rief genau das Echo hervor, das ich erwartet hatte: Die Älteren wachten auf und erklärten den Jüngeren sofort ein paar unwesentliche Rätselhaftigkeiten des Zweiten Weltkrieges. Sie beglückwünschten mich zu der Idee.
Drews riet ab, über Gebühr zu collagieren. Das sei kunstgewerblich. Er schlug jedoch Kürzungen vor, und da gebe ich ihm recht.
Bittel sah die herausgesuchten Fotos durch und hat dadurch vielleicht eine genauere Anschauung bekommen von dem, was ich zeigen will, von der Endform des Ganzen.
Den«freien Nachmittag»nutzte nur eine Minderheit. Drews erklärte von sich aus seine Bereitschaft, mit dem Interpretieren weiterzumachen. Fand großen Anklang.
Gestern nacht machte ich die Planung für das nächste Seminar. Drews und Bittel werden auf jeden Fall dabeisein, desgleichen Guntram, der mir die Kritik der Teilnehmerbeiträge abnahm in seinem Kurs.
Mit Schneeweiß, dessen kleiner Film wieder die Substanzen enthielt, die ich mir für einen Film wünsche, kam ich überein, im Frühjahr nach Frankreich zu fahren mit Simone.
Wie sie sich alle schon auf meinen Tod einstellen.
Daß sich die Rostockerin Almuth jetzt so auf die Judenverfolgung stürzt, ist doch nur eine Ersatzhandlung. Die Geschichte der Judenverfolgung ist doch hin und her erforscht. Da sind andere Bereiche!
Für Stasi-Angelegenheiten interessiert sie sich nicht.
2007: Nie wieder was von ihr gehört.
In der FAZ ein mich empörender Aufsatz über ein sudetendeutsches Städtchen von Ota Filip. – Nun kommt mir auch kein Tscheche mehr ins Haus.
Hildegard ein bißchen unerträglich, das macht wohl die Überanstrengung. Wir müssen durchhalten – das ist es.
In Radio, Zeitungen und im TV nur Stasi. Von uns, den Kameraden Natonek, Ingo Klein, von Mund vom Kirchenchor und vom 13. März’50 spricht niemand. Heute wurde dem Herrn Staeck, der lieber seine Irrtümer bereuen sollte, in«Aspekte»¼ Stunde eingeräumt. Auch von Bautzen war in derselben Sendung die Rede, und das«Gelbe Elend»war zu sehen, sogar die Zelle, in der ich fast sechs Jahre gelebt habe. Der Film, den Duyns von mir gedreht hat, wurde bisher im deutschen Fernsehen nicht benötigt.
Die Rostockerin sagte, sie störe die Junge-Pionier-Figur im Archiv. Deshalb steht sie ja da.
Nartum Sa 23. November 1991, Nebel
T: Was Japanisches.
Jede Nacht ist ein volles Aquarium.
Drews fand das geträumte Gedicht im«Sirius»so gut, daß er es in eine Anthologie aufnehmen will. Ich habe gesagt: Anthologie? Dann kann er doch mein Aquarium-Gedicht abdrucken.
Ulla Hahn hat in aller Öffentlichkeit bekanntgegeben, daß sie einen von Pilzen zerfressenen großen Zeh hat. Fällt das unter Lyrik?
TV: Es wurden Nazi-Menschen gezeigt, die am Totensonntag irgendwo in Brandenburg aufmarschierten: nordische Flakobergefreite in gleichem Schritt und Tritt, im Gleichschritt ungeübt, geballte Fäuste usw., Haar auf Streichholzlänge, siegesgewiß-höhnisch. Darunter auch einzelne Mädchen, eine mit Mozartzopf, Faltenrock und Söckchen, mich pickte ein Erotikstoß, ich übersprang in meinen tierischen Gefühlen 50 Erfahrungsjahre und landete wieder bei Gisela Nitschke, der 1945 an Typhus Gestorbenen. Ich sah, daß meine damaligen heißen Sehnsüchte bis heute nicht befriedigt wurden, aber ich war mir auch bewußt, daß ich nie zu ihnen gehört habe, dieses Muskelstraffen ist mir immer fremd gewesen. – FDJ in ihrer Schmuddeligkeit auch nicht ohne Reiz. Ich habe immer gedacht:
Weitere Kostenlose Bücher