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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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aus«Sirius», und die etwa 80 Leute lachten und klatschten, aber keiner kaufte ein Exemplar.
    Vier Tb.«Tadellöser»und einmal«Herzlich willkommen»durfte ich signieren.
    Eine Frau fragte, wieso denn im«Sirius»250 Abbildungen seien, was das denn für Abbildungen seien?
     
    In Rottenburg bei Tübingen traf ich den Kirchenchorkameraden Conrad Schmidt, der erblindet ist. Er war ja immer schon sehr kurzsichtig. Schule macht er mit seiner Frau zusammen. Sie sagt ihm, was an der Tafel steht, usw. Trotz seiner Blindheit lief er aber allein herum, mit mir durch die Straße, und fand sich ohne weiteres zurecht. Stolperte nicht usw.
     
    Heute sagte ich zu Hildegard am Telefon:«Ich habe die Nacht Schüttelfrost gehabt.»
    Da sagt sie:«Das geht doch gar nicht.»
    Ich zittere davor, daß sie sich einen Hut kauft.
    «Aus dieser Ecke Deutschlands»stammt sie. Aalen, da war ein Vorfahr der fränkischen Linie (Schwiegermutter) Pastor. Ich besorgte aus Tübingen die Kopie eines Porträts, das dort in der Universität hängt. Die Klemm-Linie.
     
    Seitdem sich unsere Vermögensverhältnisse so erfreulich entwickeln, sehe ich den Absatzzahlen der Bücher gelassener entgegen. Die Lesungen sind wichtig. Davon allein könnten wir leben.
     
    2007: Nun, da die Lesungen eingestellt werden, wird’s sofort«eng».
     
    «Mein Freund Wunderlich», sagt Raddatz. Der sagt ihm ab und zu, daß meine Bücher gut sind.
     
    Hier habe ich ein sehr schönes Hotelzimmer, es ist groß und absolut ruhig.
    In den Hotels sieht man jetzt viele Leute aus der ehemaligen DDR. Einzelne Männer oder ganze Gruppen. Sie werden in Geschäfte eingewiesen. Möglicherweise Vertreter. Man erkennt sie ziemlich sofort. Sie werden geschult fürs Schuhsohlenablatschen. Mancher schafft es.
     
    In Tübingen traf ich Andrea Valentin, die mir als Süddeutsche lang und breit erklärte, wie in Norddeutschland die Bauern den Boden vergiften und wie dort die Dörfer ihre Strukturen verlieren. In den Zeitungen nostalgisches Gejammere, daß die DEFA nun die Pforten dichtmachen muß. Niemand erinnert daran, was die an Hetze und Lüge über das Land ausgegossen hat. Und das Publikum hatte sich doch schon längst von der DDR-Produktion abgewandt. Es heißt, die sahen im TV nur Westfilme. – Märchenfilme in jeder Richtung. Das konnten sie gut. – Die Warneke-Dinger waren auch nicht schlecht. Man müßte einen Sender einrichten, über den Tag für Tag bisher ungesendete Filme gezeigt werden. Auch das gehört zum Kulturpolster. Wie die nie gezeigten Gemälde in den Depots der Museen. Die Magazine der Bibliotheken. Bücher werden heutzutage nur eine Saison lang«vorgelegt», dann verschwinden sie für immer. Aber mancher Gedanke wäre es doch wert, aufgehoben zu werden!
    Ein Sammler von Autobiographien ist gerade gestorben. Teure Sachen: Uhland-Erstauflagen (Briefwechsel, vier Bände). Ich kaufte notgedrungen.
     
    Die Vorfahren von Hildegard aus Blaubeuren. Wo bleiben die Gene? Ich bin dem«Stammbaum»mal nachgegangen – Mörike kommt drin vor. Fränkische Studien – wenn Rostock, warum nicht auch Franken?
    Zwei vollständige Eheinventarien existieren, in denen von«Lichtbutzscheren»die Rede ist, auch Briefe und Gedichte, alles in letzter Sekunde in Nürnberg vor den Fliegern gerettet.
     
    In Tübingen kaufte ich einiges für das«Echolot». – Die ganze Stadt vollgeschmiert mit Parolen gegen Amerika – gegen Saddam Hussein kein Wort.
     
    TV: im Fernsehen Gorbatschow in Tokio. Ich hoffe mit den Japanern, daß sie die Kurilen wiederkriegen. Und dabei geht es mich doch gar nichts an. Was das wohl für öde Inseln sind. Fischerei. Öl soll in der Tiefe liegen. Die Sturheit der Russen ist gut für uns. Sie bindet die Japaner an uns.
    Im«Spiegel»: ein sowjetischer Historiker:
    Natürlich haben wir den Japanern diese Inseln einmal weggenommen. Das ist aber doch noch kein Grund, sie ihnen zurückzugeben. Vor 400 Jahren war Rußland ein kleines Land. Heute ist es mit 22 Mio. Quadratkilometern ein großes Imperium. Das meiste Land haben wir uns erobert – bedeutet dies, daß wir es zurückgeben müssen?
    Privates Fischen gilt dort als Diebstahl. Die Bewohner der Inseln dürfen noch nicht einmal ein eigenes Ruderboot besitzen.
    Ein ehemaliger Journalist:«Ich bin Russe und stolz, einer Rasse anzugehören, die den Rest der Welt erzittern ließ.»
     
    Im TV war zu sehen, wie Jelzin als privater Besucher des Europaparlaments während der Fragestunde pampig wurde. Da hat der

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