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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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35 Jahre zusammen. Das große Glück meines Lebens.
     
    2006 : 50 Jahre zusammen. Dezember 1956 hat sie sich mich geschnappt. Ich selbst hätte damals nicht ans Heiraten gedacht. Für die Pastorenfamilie Janssen schwer, den Happen zu verdauen. Ich war Flüchtling, Häftling, noch Schüler!
     
    Gestern abend hatte ich einen schlimmen Hustenanfall, ich dachte, ich sterbe!

Nartum So 21. April 1991, schön
     
    I946: Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) gegründet
    Immer noch krank.
    Heute war auf N3 Stephan Hermlin zu bewundern, der den Betriebskampfgruppen gratuliert, daß sie die Mauer so schön hingekriegt haben.
    Stefan Heym hielt in der gleichen Sendung«die Öffnung der Mauer für ein Komplott des Westens».

Nartum Di 23. April 1991
     
    Bundeskanzler hat sich für Berlin entschieden. Richtig! Nun freut sich auch die SPD. Vogel grinst.
     
    Geißler wurde von Elke Heidenreich interviewt. Auf einem Skilift etc., schlechte und gute Eigenschaften usw. Der arme Mann! Aber diese Leute wollen es ja.
    Bundesverfassungsgericht verkündete heute, die Enteigneten bekommen nichts zurück. Wehe! Das ist ganz schlimm. Wir haben das Unrecht damals mit angesehen. Wie die Gutsbesitzer davongejagt wurden, absolut keine Junker waren das. Das waren ganz normale Unternehmer.
     
    In Hamburg zu Lenz’ Geburtstag. Ich saß neben Ingo von Münch. Er und Loki Schmidt sowie Surminski schrieben in mein Poesiealbum. Lenz nannte mich wieder«Walterchen». Nun, er ist es wohl gewöhnt,«Sigi»genannt zu werden.

     
    Albumeintrag Ingo von Münch
    Die Ledertapeten und der leidende Rühmkorf, der sich nicht beschwerte über den«Sirius». Er erzählte von seinen eigenen Tagebüchern, 10-20 000 Seiten, die aber nur postum erscheinen könnten.
    Piwitt, der«keine Einkünfte»hat, wie er sagt – dafür aber ein Loch in der Hose -, weil man ihm sein linkes Engagement übelnehme und ihn deswegen schneide. Der besoffene

     
    Albumeintrag Loki Schmidt

     
    Albumeintrag Arno Surminski
    Witter und Fechner. Auch Karasek war leutselig, also wunderbar alles. Wieviel angenehme Menschen gibt es auf der Welt!

     
    Albumeintrag Hermann Peter Piwitt
    Meine Grippe ist noch immer anwesend. Schlief im Auto auf der Rückfahrt.
    Gestern Triumphales in Oldenburg bei den Pädagogen. Bei den Germanisten waren ganze 12 Leute erschienen, obwohl die Veranstaltung ausgewiesen war als absolut letzte meines Hochschulengagements und als Überblick über meine Lebensarbeit. Enttäuscht! Traurig!
    Ich ließ die Türen hinter mir zuklappen.

Nartum Do 25. April 1991
     
    I949: Gründung der Weltfriedensbewegung
    T: Ich werde per Zug nach Kasachstan transportiert, es ist ein blühendes Paradiesland, farbig, mit glücklichen Menschen. Wir sollen auf Schulen verteilt werden, als Gastschüler, obwohl wir doch Gefangene sind. Man erzählt mir, daß die Nmeskis von den Schülern jeden Tag verprügelt werden. Ich überlege, ob ich mich in diesem Fall einem Lehrer anvertrauen soll oder sehr grob sofort zurückschlagen.
     
    Gestern fuhren wir nach Päse, zwischen Burgdorf und Gifhorn. Ein Gasthaus voll lieber Leute, die von weit her gekommen waren. Hildegard begleitete mich, sie mußte auch signieren.
    Einklang.
    Während der Hinfahrt versuchte ich, meinen Medienvortrag zu diktieren.
     
    Aus dem Entwurf:
     
    Bevor ich mit dem Meckern beginne, sollte ich zunächst allerhand Positives sagen. Der Dank des Schlafgestörten muß abgestattet werden an den Rundfunk, der uns mitten hinein in das zeitübliche Aufgestampfe und In-die-Gegend-Schreien, das uns den normalen Gebrauch des Rundfunks vergällt, mit etwas Zartem, Gemäßen, einer bis in den Dialog hineingesteigerten Musik erfreut, das sind Erlebnisse.
    Draußen vom Osten her das Rollen der Autobahn, im Haus … und dann das Streichquartett von Schumann – ja, wir gehören noch zusammen … Anzumerken, in eigener Sache, ist hier, daß dem Schlafgestörten nicht gedient ist, wenn er um 2 Uhr in der Nacht den«Feuervogel»serviert bekommt. Und eine Beobachtung: Sogenannte Wortsendungen sind für den Einsamen eigentlich das Angenehmste, es müssen ja nicht gerade Betrachtungen über Milbenkulturen sein. Hier sind die Romanlesungen zu preisen, Gert Westphal etwa,«Effi Briest».
    Wo so viel Gutes möglich ist, da wundert es einen, daß das Mikrofon gewöhnlich von Schreihälsen und Quatschern im 2½-Minutentakt okkupiert ist. Daß die Gewerkschaft der Lastwagenfahrer gegen die ununterbrochene Stampferei im Radio nichts

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