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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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nun meinen sie, das sei das Beste, was ich geschrieben hätte – ein Kompliment, das mich nicht froh macht.
    In Kurdistan wurden einige Flüchtlinge von Hilfssendungen – vom Flugzeug abgeworfen – erschlagen.
     
    Schüsseler erzählte den Ostlern lächelnd, wo er überall studiert hat, in Frankreich, England usw. Die Leute waren baß erstaunt. Ich ertappte mich dabei, daß ich Erlebnisse, die ich bei Tisch preisgeben wollte, diskret von USA wegverlegte, nach Wuppertal, um keinen Neid zu erregen, bin halt ein edler Mensch.
     
    In der Nacht wundervolles Streichquartett von Beethoven gehört und a-Moll-Sonate von Mozart.
     
    Langer Mittagsschlaf mit Traum, daß ich den 8./9. Juni nicht gut vorbereitet habe. Tausende sind gekommen.
     
    Pröbstle-Brief gelesen.
    Bebilderung des«Echolot»problematisch. Es dürfen nur einzelne Fotos sein, wenige. Deutsche! Und: Texte nicht illustrieren wollen.
    Abends schlapp.
    Altes Rechenbuch von einer Frau in Dessau. Lustige Rechenaufgaben. Laden zu Meditation ein.
    Schöner Rinderbraten mit herrlicher Sauce.
    Zu schlapp zum Spazierengehen, und als ich ging, auf der Straße ein schreiendes Ehepaar mit Kind, das ebenfalls schrie.
     
    Einladung zu einer Kurden-Sache in Bremen. Ich soll denen aus meinen Büchern was vorlesen!
    Habe abgesagt. Unmöglich.«Klare Sache, und damit hopp!»? Die lachen sich ja tot. Wie die Schwarzen in Afrika über den Jodler von Schneeweiß.
     
    Gauweiler möchte am liebsten unumstritten sein, ohne Gegner, so sagt er im FAZ-Fragebogen.

Nartum Mo 20. Mai 1991
     
    Mit Renate hatte ich mich für den Mittwoch zum Frühstück verabredet, so halb jedenfalls. Ich sage in Reinickendorf beim Abschied zu ihr:«Also bis morgen dann.»- Sie:«Wir telefonieren. »Ich:«Kommst du denn nicht?»-«Wir telefonieren!»- Das ist wohl die neue Art, ein Date abzusagen. Sie kam dann natürlich nicht und telefonierte auch nicht. Jeder lebt sein eignes Leben.
     
    Ein Arbeiter sei«zusammengeschlagen»worden, sagt die Nachrichtensprecherin.
    Ein«Urnengang»sei in Indien notwendig (NDR1).
    Herrlich, wie der Kanzler auf den SED/SPD-Eierwerfer losging. Wie ein Elefant.
     
    Der unbedeutende Engholm eine Stunde auf N3. Ihm fehlt die Aura von Brandt und das Mystische, das Verschlagene Adenauers. Wer so vernünftig ist, wie es Engholm zu sein scheint, wird kein (guter) Kanzler. – Schriftsetzer war er von Beruf. Hat sich über allerhand Abendschulen hochgearbeitet.
     
    2007: Er veranstaltete später Kunstausstellungen in seinem Wohnzimmer und gab die Faustregel aus: Je abstrakter ein Bild, desto wertvoller ist es. So kommen sie – so gehen sie; mancher bleibt lange.
     
    a-Moll-Quartett von Schubert. Nicht vergessen: das Quartett von Pfitzner, Schönberg hat es für symphonisches Orchester umgeschrieben,«ohne eine Note hinzuzusetzen». Er ist aber nicht so weit gegangen wie dieser verrückte Amerikaner, wie hieß er? Stokowski?, der die Toccata und Fuge von Bach mit Kesselpauken arrangierte.
     
    Sehr gut gegessen, Rindfleisch mit guter Sauce, grüne Bohnen, Gurkensalat. Wohlschmeckende Kartoffeln.
    TV: Film über Potsdam. Da haben die Leute auch allerhand in die Luft gesprengt.
     
    Für«Echolot»die ersten drei Januartage kopiert, um sie morgen – sparsamer – versuchsweise mit Bildern zu kontrastieren.
     
    Aufgeräumt. Langer Mittagsschlaf (fast zwei Stunden).
     
    Lit.: Ralf Georg Reuth,«Goebbels». Schlecht, weil zu viel Anführungsstriche, jedes dritte Wort. Dazu schreibt der Autor S.S. oder N.S.D.A.P., das stört auch. Auch sonderbar eckige Schrifttypen. Schreibweisewird im«Echolot»nicht durchzusetzen sein.
    Aber hilfreiche Quellenangaben. Und im ganzen natürlich«wahnsinnig».
     
    2007: Klemperer aus Dresden schreibt in seinem großartigen Tagebuch konsequent , und der Verlag hat es auch so gedruckt.«SS»wirkt ungeziemend milde.
     
    Im übrigen, Vater wäre heute 93 geworden. Seit 46 Jahren tot. Merkwürdiges Verhältnis der Eltern zueinander. Kalt? Sie hätte eben doch lieber den«Menz»geheiratet. Ihre Gene schrien danach. Und sie hat es ausgesprochen, immer wieder, auch in Gegenwart meines Vaters. Klein und gedrungen war er, ich mochte ihn eigentlich nicht ansehen. Sein Gesicht, fremd. 1944 habe ich ihn zuletzt gesehen. Ein Vierteljahr später traf ihn die Bombe. – Sonderbare Einzelheiten wurden mitgeteilt über seine letzten Tage: Auf einem Benzinfaß sei er übers Haff gerudert. Vielleicht hat er von Kahlenberg aus dann unser letztes Schiff am

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