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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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unseres Domizils durch Hildegards Teppichmacke in eine Karawanserei, überall liegen Brücken!

Hamburg So 12. Mai 1991
     
    1905: Artur Becker geboren
    «Hamburg-Welle».

Nartum Mo 13. Mai 1991
     
    «In der Gegenwart zu leben ist ja auch nicht gerade das Schlechteste»(Moderatorin der«Presseschau»heute früh um Viertel nach sieben).
    Gestern war ich der«Sonntagsgast»auf der«Hamburg-Welle», mußte also hinfahren und dort erst mal ½ Stunde warten, bis der Moderator kam, und mich dann ausfragen lassen. Im Unterschied zu sonstigen albernen Fragestunden war diese aber konstruktiv, der Mann ließ mich jeweils zehn Minuten sprechen, ohne einzugreifen. Die Musik dazwischen sei«der kleinste gemeinsame Nenner», sagte er, in Auberginen-Anzug und mit zwei verschiedenen Augen: Für das linke brauche er eine Plus-, für das rechte eine Minus-Brille.
    Kaum Provokationen, die wären ihm auch schlecht bekommen.
     
    Auf der Hinfahrt Kolonnenfahrt auf vier bzw. sechs Spuren! Von Bockel bis HH. So etwas habe ich noch nicht erlebt.
    Als ich da so am Steuer saß und den Vortrag über Pfitzner hörte, fiel mir eine wichtige Änderung für das«Echolot»ein. Ich werde Fotos aus früheren oder späteren Zeiten heraussuchen und dazwischenschieben.

     
    Skizze von Walter Kempowski
    Wenn ich Fotos nur von’43 nehme, würde ich konsequenterweise bei Zentner landen, diesem III.-Reich-Zeitschriftenmann. Ich kriege nun durch das Vor und Zurück eine größere Schärfe in die Sache, spanne den jeweiligen kurzen, aber inhaltsreichen Zeitausschnitt in ein Zeitkreuz. Gefahr des Feuilletonismus.

Berlin, Hotel Kempinski Di 14. Mai 1991
     
    1955: Abschluß des Warschauer Vertrages
    Ich flog heute nach Berlin, Hotel Kempinski, recht heruntergekommen, sammelte im«Zille-Markt»Fotos zusammen und aß mit Renate zu Abend. Dann Lesung in Reinickendorf, etwa 150 Leute, sehr nettes Publikum. Der Veranstalter weniger, der ständig den Verlag schlechtmachte, der hätte nichts vorbereitet, Schüsseler war auf 80 deswegen. Auch KF kam zur Lesung. Ich bin immer ganz verblüfft, wenn ich zufällig einen der Meinigen im Publikum entdecke. Ich denke immer: Die Armen, das kann sie doch gar nicht interessieren!

Berlin Mi 15. Mai 1991
     
    Jahrestag der Pionierorganisation«Ho Chi Minh»
der Sozialistischen Republik Vietnam
    Morgens mit Freimut Duve gefrühstückt, der kann auch nur noch reden, ist unfähig zuzuhören. Dann wieder«Zille-Markt»und langer Spaziergang durch das entrückte ehemalige Zentrum Berlins mit Dom usw.
    Erinnerungen an 1945, wie ich da als Kurier umhergelaufen bin. Die große Schale vor dem Museum und die Reichskanzlei, damals noch bis auf ein paar Löcher intakt. Im April 1945 war das. – Alles leer, keine Menschenseele. In der Friedrichstraße das«Metropol». Im Hauseingang hatte ich damals mit einigen Frauen gestanden und mir die Granaten angehört, wie sie einschlugen.
    Dann zurück, nochmals zum«Zille-Markt», wichtige Funde gemacht. Abends Lesung in der Ost-Akademie vor 24 Zuhörern. Nur West-Leute. Kein einziger Schriftsteller. Gespräch mit Dietzel wegen«Echolot». Er will Bredel, H. Mann, Brecht, Becher u. a. besorgen.

     
    Albumeintrag Ulrich Dietzel
    2007: Nie wieder was davon gehört.
     
    Ein Aufenthaltsraum mit burg-großen Sesseln und auf dem Tisch überquellende Bananenteller. Eine Frau in Silberlameejacke (Lyrik!) fragte mich, was sie bloß machen soll? Ich sagte zu ihr:«DDR-Witze sammeln», die werde sie bestimmt los.
     
    2007: Jahre später erschien ein solches Buch und wurde ein Bestseller. Das kommt davon, wenn man nicht auf den weisen Rat eines Wessis hört.
    Hinterher mit Gohlke per S-Bahn nach Hause, der mir die verschiedenen Stadtteile erklärte und mir von einem zweirädrigen Kahn weggeworfene Formulare reichte, die würden später noch mal sehr wertvoll.

Berlin Do 16. Mai 1991
     
    Mit Gohlke gefrühstückt und zu Prinz-Dunst gegangen, zwei Bilder gekauft. Den Grundstücksmakler Elliehaus auf der Straße getroffen, den ich von wer weiß woher kenne. Er wunderte sich, daß ich ihn noch erkannte, er erzählte mir von Sombarts Salon.
     
    2007: Inzwischen ist ein Buch über den Salon erschienen,«Journal intime».
     
    Dann mit Bertelsmann-Schüsseler in seinem herrlichen Mercedes davongerauscht.
     
    Dessau
    Unter unglaublichen Umständen vor 20 Leuten gelesen. Alles mies. Eine freundliche Rostockerin (Allwardt) schenkte mir Rostockiensien. Furchtbare Stadt.
    Ich kaufte in einem Papiergeschäft

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