Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
nicht gelang, weil ich als Knast-Entwöhnter die entsprechenden Ritzen im Milchglas nicht fand. – Die Tür wird übrigens schwierig aus der Halterung zu lösen sein, da sie aus gutem Grund ausbruchssicher verschweißt ist. Vielleicht hilft mir einer. Hier müssen doch Schlosser existieren, die das machen können. Morgen früh werde ich die Sache weiterverfolgen. Die Tür muß dann«abgezogen»werden, d. h. von Farbe befreit, sie ist sicher aus Eiche, und ich werde sie dann in der Lotterecke an die Wand dübeln.
Ich setzte mich dann noch einmal an den Brunnen. Ein Herr sprach mich an, ein Elektroingenieur, der kurz nach der Wende nach Westdeutschland gegangen ist:«Zu spät ist die Wiedervereinigung gekommen. Ein Traum wurde erfüllt, aber sofort kam das bittere Erwachen.»
Er erzählte allerhand Übles über die hiesigen Betriebe, die noch nicht«abgewickelt»sind. Die verkaufen alles, nehmen Kredite auf usw. Und in der Betriebsleitung sitzen noch dieselben Leute wie vor der Wende. Das sei für die Kollegen nicht schön.
Ich hätte mir ein anderes Gespräch gewünscht, wäre gern über die Wallanlagen gegangen, wo die Trauerweiden noch immer ihre Äste ins Wasser hängen lassen, aber man warnte mich: Dort säßen Leute, die sich«Schüsse»setzten, und die gingen über Leichen!
Im Warnow-Hotel aß ich sehr schlecht. Ich hatte mich vorher auf meinem Zimmer in die Wanne gelegt und dann noch etwas geschlafen.
Zuerst bekam ich statt gebratenem Fisch gedünsteten aus der Gefriertruhe. Das ersatzweise gelieferte Schweineschnitzel war hart wie Pappe, schneeweiß, also aus LPG-Beständen. Ach, wie schmeckten doch früher die Koteletts so schön, fett und saftig! Warum gibt es so etwas nicht mehr?
Während ich aß, mich übrigens über nichts aufregte, sah ich, wie draußen der Garagen- oder Parkplatzspezialist ununterbrochen – freundlich! – Falschparker zurechtwies, also Leute, die nicht auf diesen Platz gehörten. Dabei trug er – in dieser Hitze! – einen dicken Rock mit Litzen. Er lachte direkt, wenn wieder so ein Junge ankam und sich rasch dahin stellte, wo er nicht durfte.
Jetzt sitze ich im Barocksaal. Drei Musiker aus dem Westen bringen auf allerlei Lauten Musik des 16. und 17. Jahrhunderts. Sie lachten, als sie die paar Zuhörer sahen. 14 oder 15 sind es, die Frau an der Kasse mitgezählt. Von draußen das Plätschern des Brunnens der Lebensfreude, und drinnen gähnende Leere. Musik von 1597. Donnerwetter! Auch das war nur Lebenssehnsucht damals, keine Realität. Man müßte mal wieder Dieter Kühn lesen,«Wolkenstein», dann würde man über die Zeitläufte gerechter denken. Die Wünsche von damals sind noch immer nicht in Erfüllung gegangen. Und die Sehnsucht dauert fort. Und wer meint, daß er eine Abteilung des Paradieses gepachtet hat, der irrt nur eine Zeitlang, der tut gut daran, auf die Wanderschaft zu gehen. Womit ich diese Eintragungen auf eine mich betreffende Bemerkung zurückführe.
«Time stands still», singt der Tenor, von Dowland. Mir ist es, als ob alles, was zwischen 1948 und heute liegt, ein Traum ist. Das ist alles so weit entfernt wie Feuerland. Ich lasse sie zurück.
2007: «Time stands still»- es gibt ein hübsches US-Musical, da wird auf eine ansprechende Melodie die Zeile gesungen:«As time goes by …»Möchte gern den ganzen Text haben. Aber wo kriegt man so was her? -«Casablanca»? Ein Mistfilm übrigens.
Die Musiker kommen aus Bremen. Ich werde sie vielleicht einladen hinterher. Mal sehen. Sie lassen uns ihre Enttäuschung über den geringen Besuch nicht entgelten.
Der Sänger übersetzt die Texte hinterher. Das können die Rostocker, die ja nie Englisch gelernt haben, leicht mißverstehen.
So ein Musizieren müßte ich Hildegard mal zum Geburtstag schenken.
Aus dem Strom der Bilder ab und zu ein Gedanke, sie strudeln so dahin und erstrudeln sich einen Gedanken.
Allmählich schwächer werden, undeutlicher, als Schemen schon im Leben das Ende vorwegnehmen. Der Lebensgedanke muß übrigbleiben.
Haus Kreienhoop: hellblau und weiße Balken. Silberne Sterne an die Decke: der Saal.
Veranda grün und weiß, umgekehrt wie oben – und silberne Leisten.
Bin ich denn je weg gewesen?
Die Bibliothek ganz in Weiß? Schwierig. Oder umgekehrt wie Saal. Das hat Konsequenzen für den hinteren Gang. Die weißen Mauern werden zu blauen Balken zwingen.
Man könnte auch die Kassetten im Saal mit Spiegeln versehen.
Sie lief, um mir das Tor zu
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