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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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sie der Meinung
sein sollte, dass meine Aussage der Wahrheit entsprach, gab es
keinerlei Beweise mehr für meine angebliche Täterschaft.
Aber wie sollte ich sie aus dem Gefängnis heraus erreichen?
Nein, ich musste noch einmal zu ihr gehen. Doch dazu musste ich
zuerst einmal aus diesem Gebäude herauskommen. Ich schielte
hinüber zu dem Polizisten, der wieder rasch wegsah. Leider stand
er immer noch neben der Tür. Wenn ich ihn von dort weglocken
könnte…
    Ich schaute mich in dem Raum um. Der Schreibtisch, der
Aktenschrank und die Stühle mussten etwa Anfang der Siebziger
Jahre angeschafft worden sein und der Pegulan-Fußboden war auch
nicht neuer. Auf dem Fenstersims stand eine Topfpflanze – oder
eher das, was einmal eine Topfpflanze gewesen war. Sie schien zuviel
vom Charme des Kommissars abbekommen zu haben.
    Ich schaute hoch zur brummenden Neonröhre. Das Geräusch
machte mich nervös. Dann sah ich wieder hinüber zu dem
Polizisten. Jetzt fing ich seinen Blick ein; er hatte nicht schnell
genug weggeschaut. Ich wagte ein halbes Lächeln. Er
lächelte nicht zurück. Ich starrte ihn unverwandt an. Jetzt
schien ihm unwohl in seiner Haut zu werden. Er drehte den Kopf und
sah aus dem Fenster, doch dahinter gab es nicht viel zu sehen, denn
das Fenster ging auf einen Hof hinaus. Es dauerte nicht lange und er
schaute wieder in meine Richtung – und musste feststellen, dass
ich ihn immer noch anstarrte. Er räusperte sich, sagte aber kein
Wort. Erst zog er am Knoten seiner Dienstkrawatte, dann am obersten
Knopf seines sandfarbenen Hemdes. Ich starrte ihn weiterhin an. Beweg
dich!, schrie es in mir. Geh endlich von der verdammten Tür weg!
So weit wie möglich! Aber meine mentalen Befehle verhallten
ungehört. Jeden Augenblick konnte der Kommissar
zurückkommen und dann war jegliche Aussicht auf eine Flucht
verloren.
    Der Polizist trat von einem Bein auf das andere. Jetzt brauchst du
nur noch ein paar Schritte zu machen! Er seufzte, dann sagte er mit
krächzender Stimme: »Heiß hier drinnen, nicht
wahr?«
    »Ja«, antwortete ich rasch und versuchte, meine Erregung
zu überspielen, »unerträglich.«
    »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich kurz das Fenster
aufmache?«
    Überhaupt nicht! Das Fenster lag gegenüber der Tür
hinter dem Schreibtisch. Ich schüttelte den Kopf und tat so, als
lehne ich mich entspannt zurück. Der Polizist machte einen
Schritt nach vorn, wobei er mich allerdings nicht aus den Augen
ließ; es war, als sei ihm plötzlich bewusst geworden, dass
sein Vorschlag eine Gefahr barg. Aber ich wiegte ihn mit meiner
Unschuldsmiene in Sicherheit. Als er jedoch bei dem Fenster
angekommen war und den Hebel umlegte, sprang ich auf und war mit zwei
langen Schritten bei der Tür. Aber der Polizist war schneller.
Noch bevor ich die Klinke fassen konnte, zog er mir die Beine weg.
Ich fiel hin, er hechtete auf meinen Rücken, dass es mir die
Luft aus den Lungen presste. Dann riss er mir die Arme nach
hinten.
    Gleichzeitig bäumte ich mich auf. Er war so sehr damit
beschäftigt, mir die Arme hinter dem Rücken zu fesseln,
dass er mit meiner Gegenwehr wohl nicht gerechnet hatte. Er fiel von
mir ab wie ein schlechter Rodeo-Reiter. Ich rollte mich auf den
Rücken und sprang gleichzeitig mit dem Polizisten hoch. Wir
standen uns gegenüber wie zwei Neanderthaler, die um ein
Weibchen kämpfen.
    Irgendwo hinter mir befand sich der Schreibtisch. Wenn ich doch
wenigstens einen jener berühmten harten Gegenstände
erwischen und meinen Gegner damit in das Reich des Schlafes schicken
könnte! Ich wich zurück, was der Polizist als Kapitulation
zu deuten schien. Auf seinem Gesicht machte sich ein Grinsen
breit.
    Doch er hatte sich zu früh gefreut.
    Ich tastete mit der Hand hinter mich und spürte endlich
etwas: Es musste die schwere Kaffeetasse aus Steingut sein, die ich
vorhin bereits bemerkt hatte. Ich packte sie und schleuderte sie dem
Polizisten entgegen. Sie traf ihn an der Schläfe. Mit einem
Blick tiefsten Erstaunens sackte er wie in Zeitlupe in sich zusammen.
Ich kniete mich neben ihn; plötzlich wurde mir schwindlig und
meine Beine fühlten sich an, als habe man die Knochen aus ihnen
entfernt. War ich jetzt etwa doch zum Mörder geworden? Doch der
Mann atmete noch; er war nur bewusstlos.
    Ich zerrte ihn in die hinterste Ecke des Zimmers und ging ganz
langsam hinaus. Draußen auf dem Flur war niemand zu sehen.
Allmählich beruhigte ich mich wieder. Im Spazierschritt
näherte ich mich dem Aufzug, der sich gerade

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