Sonder-Edition - drei Romane (Das Mondgeheimnis, Die Gestoßenen, Den Teufel am Hals) (German Edition)
ertappte er sich bei dem Gedanken, ihr auf den Kopf zuzusagen, dass sie eine verdammte Intrigantin war, eine widerliche Schlampe, die sogar für ihren Papa die Beine breitmachte. Anspucken könnte er sie oder mehr noch: sie ohrfeigen.
Alena wollte seine Hand nehmen, er entzog sich, vergrößerte den Abstand zu ihr. Er beobachtete aus den Augenwinkeln, wie sie ihre Hand für einen Moment gegen die Tasche drückte, versteifte.
Als sie den Bahndamm erreichten, wünschte er sich einen Zug herbei, um diesem seinen Leben ein Ende zu bereiten, dann müsste er sich nicht länger demütigen lassen. Er bückte sich nach einem Stein und warf ihn auf das Gleis, Eisen klirrte.
Die fußballfeldgroße Wiese zwischen Trasse und Getreidefeld endete an einem nebelverhangenen Wald. Löwenzahn und Gänseblümchen überall. Der Mond über den Wipfeln war nah, man konnte seine Krater sehen. Diesen Weg wollte er gehen. Bis zum Schatten der Bäume würde er Alena führen und dann darauf drängen, endlich das Schweigen zu brechen.
Er ließ das Kissen lieblos gegen sein Bein schlackern. Sie reagierte nicht. Er pfiff ein Lied, absichtlich falsch, doch Alena ließ sich nicht provozieren. Wenige Meter noch. Er steckte seine Rechte in die Hosentasche, zerdrückte das Taschentuch, um ein bisschen Wut abzubauen. Aber wollte er das? Sollte sie nicht seinen ganzen Hass zu spüren bekommen? Er warf das Taschentuch vor sich ins Gras, trat darauf. Endlich reagierte sie und blieb stehen. Er ging noch einige Schritte, bis er im Schatten des Waldes stand und der Mond durch die Baumwipfel verästelt wurde.
Komm, sprich mit mir!
Er fuhr die Verzierungen des Kissens nach und vermied es, sich umzudrehen. Er hatte jede Linie und jeden Schnörkel nachgefahren, doch Alena blieb still.
Es knackte im Unterholz, die Bewegung eines Schattens. Ondrej trat erschrocken einen Schritt zurück und schärfte den Blick. War da was? Nein, da war nichts. Er hatte sich getäuscht, ganz sicher.
Alena? War sie überhaupt noch da? Schnell drehte er sich um und war erleichtert, dass sie sich nicht von der Stelle gerührt hatte. Sie spielte mit den Enden ihres Halstuchs, mit Blick auf das Taschentuch am Boden.
»Alena …«
Sie hob den Kopf, sah aber zur Seite. Ihre Mundwinkel zitterten.
»Warum fragst du nicht, was mir zu schaffen macht?«
»Das hab ich doch.«
Das stimmte, und er hatte sie schroff angefahren. Es tat ihm leid, überraschenderweise. Aber vielleicht war sie das nicht auf dem Passfoto, vielleicht gab es jemanden, der so ähnlich aussah, der auch Alena hieß. Vielleicht war die Narbe auf dem Bild keine Narbe, sondern ein Schatten, ein Fleck. Und vielleicht war die Erde eine Scheibe.
Er hasste sich dafür, dass er immer nur auf das Gute im Menschen hoffte und schnaubte auf Alena zu. Mit Kraft drückte er das Kissen gegen ihren Bauch. »Ich will das nicht. Nicht von dir.«
Sie schlang die Arme um das Kissen. »Du tust mir weh.«
»Ah ja? Das tut mir aber leid.«
Wieder schwieg sie ihn an.
»Und? Wie war die Feier gestern? Hast du deiner Babischka was Anständiges gekauft? Keine Schmierereien?«
»Ich hab mich dafür entschuldigt.«
»Wofür?«
»Ondrej. Bitte. Was ist mit dir?«
»Weißt du was? Ich hab einen besten Freund, der kann dich vielleicht aufklären. Vlado Krupicka.«
Sie ließ das Kissen fallen und starrte Ondrej an. Ihr stand ein wenig der Mund offen, die Unterlippe zitterte.
»Er ist nur derzeit etwas schlecht gelaunt. Ihm passt es nicht, dass ich seine Freundin geküsst habe.«
»Ondrej, ich …«
»Weißt du zufällig einen Rat, wie ich das zurechtbiegen könnte? Ich meine, das ist etwas heikel, findest du nicht?«
»Ihr kennt euch?«
Ach, schlecht gelaufen, was?
Sie fasste seinen Arm, die Tasche rutschte ihr von der Schulter, er entriss sich dem Griff, drehte sich weg, hin zum Bahndamm und bückte sich nach einem Gänseblümchen.
»Ist doch hoffentlich kein Problem für dich?« Ondrej zupfte die weißen Blütenblätter erst einzeln, dann in Büscheln aus, bis nur mehr die gelbe Blüte übrig blieb.
»Ich wollte das mit Vlado längst beenden.«
Wie satt er diese Lügen hatte. »Natürlich wolltest du das.«
»Ich kann verstehen, wenn du …«
»Spar es dir«, zischte er. »Vor zwei Tagen hast du ihm am Telefon noch erzählt, wie sehr du ihn vermisst.«
»Das hab ich ganz anders …«
»Ja? Aber natürlich!« Er musste sich zurücknehmen, Haltung bewahren.
Das mit Vlado war so etwas wie eine Zweckgemeinschaft, die sie
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