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schaute auf seine abgearbeiteten Hände und sprach schließlich mit brüchiger Stimme weiter: »Die Herrschaft war Richtung Westen geflohen mitsamt dem Diener, der Zofe und der Köchin. Das Schloss war leer. Kurz bevor die Herrschaft abfuhr, ließ mich der gnädige Herr kommen. Er sagte, dass sein Sohn, der Wernher, unterwegs sei, und wenn er käme, sollten wir ihm helfen. Wobei, das sagte er nicht … Zwei Tage später kam der Wernher. Wir schliefen damals neben dem Pferdestall. Da hatte man für meine Frau und mich zwei Stuben und eine kleine Küche abgeteilt. Mitten in der Nacht, so gegen drei Uhr, polterte es an die Tür. Mit blutunterlaufenen Augen und irrem Blick stand der Wernher vor uns und schrie herum, sagte solche Sachen wie: ›Ihr faules Gesindel! Für solch ein Pack halten wir unseren Arsch hin. Macht, dass ihr aus den Federn kommt, und zwar dalli!‹
Meine Frau und ich zogen uns schnell an und folgten ihm. Er brüllte weiter herum, wollte wissen, wo der Stallbursche war. Ich antwortete ihm, dass der zum Volkssturm abberufen war. Da ging die Toberei erst richtig los. Als er sich etwas beruhigt hatte, zuckte er schließlich mit den Achseln und meinte: ›Dann werden du und deine Olle eben mit anpacken.‹« Fenske schluckte. »Er zerrte uns förmlich zu dem LKW, den er vor dem Schloss geparkt hatte. Darauf hatte er so komische Kisten. Er stand nur daneben, gab kluge Ratschläge und trieb uns an.
Ich hab ihn gefragt, ob er denn nicht mit anpacken kann, weil meine Frau schwanger war, da tobte er wieder los. Er schrie, dass die Krüppel ihr Vergnügen haben, während ordentliche Deutsche für uns ihr Leben lassen müssen. Und wenn wir einmal was tun sollen, dann scheißen wir uns in die Hosen. Hilde schüttelte nur unmerklich den Kopf und packte diese vermaledeite Kiste. Soweit wir verstanden hatten, wollte er die Kisten im See versenken. Beim Abladen passierte dann das Unglück. Hilde hatte das Gewicht der Kiste unterschätzt. Sie konnte sie nicht halten und das Ding schlug mit voller Wucht auf dem Boden auf. Der Wernher von Schleyersdorf drehte völlig durch. Er stieß mich zur Seite und stürzte sich auf Hilde. Mit der Faust schlug er ihr ins Gesicht, sodass sie mit dem Hinterkopf an die Ladebordwand knallte. Man hörte nur ein kurzes Seufzen, dann fiel sie um. Einfach so.«
Die letzten Worte waren förmlich aus ihm herausgesprudelt. Er schaute auf und Kröger sah in seinen Augen Tränen schimmern.
»Möchten Sie nicht doch etwas trinken?« Krögers Stimme hatte einen mitfühlenden Ton.
Der Alte nickte und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Vollert stand auf, ging auf den Flur zum Wasserspender und stellte einen Augenblick später ein gefülltes Glas vor den alten Mann. Fenske trank hastig einige Schlucke und erzählte dann weiter: »Von Schleyersdorf raste. Er schaute zu meiner am Boden liegenden Frau und trat nach ihr, doch sie regte sich nicht. Sie lag da wie tot! Er zerrte an seiner Pistolentasche und zog die Waffe heraus. Er wollte meine Hilde erschießen.«
Den letzten Satz flüsterte er. Kröger hatte Mühe, ihn zu verstehen.
»Bitte etwas lauter, Herr Fenske.«
»Wie? Ach so, ja.«
Zwar immer noch leise, aber deutlich hörbar, fuhr er fort: »Mich hatte der von Schleyersdorf an den LKW geschleudert. Ich tastete in meiner Angst auf der Ladefläche umher und bekam ein Stück Eisen zu fassen, damit schlug ich dann zu. Der Wernher von Schleyersdorf fiel um, ganz langsam. Zuerst dachte ich, der Schlag wäre wirkungslos geblieben. Denn er stand da, die Pistole in der rechten Hand, den einen Fuß ein Stückchen vor den anderen gesetzt, aber dann knickten seine Knie ein und er fiel um. Als er aufschlug, drang aus seiner Kehle noch einmal so ein komisches Röcheln und dann lag er ganz still. Die Augen verdreht, wie bei einem abgestochenen Schwein. Ich beugte mich zu meiner Frau hinunter und stellte fest, dass sie noch atmete. Vorsichtig hob ich sie hoch, trug sie in unsere Schlafstube und legte sie aufs Bett.«
Mit kummervollen Augen sah er Kröger an.
»Und dann?«
»Ich ging zurück. Der Stall war ja gleich neben dem Schloss. Vielleicht 50 Meter weg vom Gesindeeingang. Der Wernher lag immer noch so da, mit gebrochenen Augen. Er war tot und ich sein Mörder! Er musste verschwinden. Ich schleifte ihn in den Keller, denn auf den LKW bekam ich ihn nicht hoch, er war zu schwer. Genauso diese verdammte Kiste. Über die Kohlenrutsche ließ ich sie hinunter. Den LKW versenkte ich im
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