Sonea - Die Heilerin: Roman
Heilung gewinnen würde, aber diese Kenntnisse hatte man ihm bereits gestohlen. Hatte Kalia sie weitergegeben? Vielleicht hatte sie keine Gelegenheit dazu gehabt. Aber wenn sie eine Gedankenlesung gestattete, würde das Wissen ohnehin weitergegeben werden.
Er konnte die Blicke der Anwesenden spüren. Du musst Zeit gewinnen, sagte er sich. Bring sie dazu, zuerst zu versuchen, die Wahrheit auf anderem Wege ans Licht zu bringen.
»Ich werde zustimmen, aber nur, wenn es keine andere Möglichkeit gibt«, erwiderte er.
Erneut sah Riaya die Sprecherinnen an. »Noch weitere Fragen?«
Die Frauen schüttelten den Kopf, und Riaya nickte Lorkin zu. »Du darfst gehen.«
Er kehrte an Tyvaras Seite zurück. Sie nickte ihm zu und schenkte ihm ein Lächeln.
»Ich rufe Sprecherin Savara auf, um über ihren Anteil an dem Geschehen zu berichten.«
Savara erhob sich. Während sie sprach, erfuhr Lorkin, dass Evar sie auf sein Verschwinden aufmerksam gemacht hatte. Sie hatte überprüft, ob er das Sanktuarium verlassen hatte, und hatte in der Stadt nach ihm gesucht; außerdem hatte sie veranlasst, dass jede Person, die in jüngster Zeit gegen ihn gesprochen hatte, überwacht wurde. Dies führte sie zu einer verlassenen Höhle in der Nähe eines instabilen Teils der Stadt, wo sie Kalia dabei entdeckte, wie sie Lorkins Gedanken las.
Die Vorsitzende erklärte Savara, sie dürfe Platz nehmen, und wandte sich dann an Kalia. »Tritt vor und empfange dein Urteil.«
Kalia stolzierte in die Mitte des Raums und drehte sich dem Tisch zu. Ihr Rücken war gerade und ihre Miene hochmütig.
»Ist Lorkins Bericht wahr?«, fragte Riaya.
Kalia hielt inne und nickte dann. »Ja.«
»Bist du schuldig oder unschuldig an der Entführung eines Verräters und daran, die Gedanken dieses Verräters gegen seinen Willen gelesen zu haben?«
»Schuldig – das heißt, falls du ihn als einen Verräter betrachtest.«
Riaya faltete die Hände. »Dann besteht keine Notwendigkeit, weitere Nachforschungen in dieser Angelegenheit anzustellen.«
»Darf ich das Wort an die Zuschauer richten?«, fragte Kalia.
Riaya sah die Sprecherinnen an. Die sechs Frauen wirkten nicht überrascht. Sie alle nickten, einige eifrig, andere resigniert.
Kalia wandte sich dem Publikum zu. »Mein Volk, ich habe mich um euretwillen dazu getrieben gesehen, unsere Gesetze zu brechen. Ich habe eine Pflicht als eure Heilerin, sicherzustellen, dass euch kein Schaden widerfährt, wenn ihr ins Krankenzimmer kommt. Unlängst hat der Kyralier Lorkin magische Heilung eingesetzt, eine Fähigkeit, die an uns weiterzugeben er sich geweigert hat. Wie konnte ich sicher sein, dass das, was er tat, ungefährlich war? Dass es nicht mehr Schaden als Nutzen haben würde? Er hat behauptet, diese Art der Heilung habe ihre Grenzen, aber wie können wir sicher sein, dass das wahr ist, sollte seine Magie einem von uns jemals Schaden zufügen oder ihn gar töten? Ich habe ihn aus Freundlichkeit einem Neuankömmling gegenüber aufgenommen und ihm eine Beschäftigung gegeben. Ich habe ihm alles Wissen und alle Kenntnisse angeboten, die meine Vorgängerinnen und ich stets geteilt haben. Als Gegenleistung hat er mir den Gehorsam verweigert und mir getrotzt, hat unerprobte Magie ohne Leitung oder Erlaubnis eingesetzt. Wenn er sich weigerte, den Sitten der Verräterinnen zu folgen, ist er dann wahrhaft einer von uns? Ich sage, er ist es nicht. Und wenn er kein Verräter ist, dann war mein Tun nicht ungesetzlich. Es war gerechtfertigt und notwendig, zur Verteidigung unseres Volkes.«
Lorkin sah viele nachdenkliche Mienen unter den Zuschauern. Er blickte zu den Sprecherinnen hinüber, die die Stirn runzelten.
»Darf ich etwas sagen, Vorsitzende?«
Die Stimme gehörte Savara. Kalia drehte sich um, um ihre Feindin mit schmalen Augen anzustarren.
»Das darfst du, Sprecherin Savara«, erwiderte Riaya. »Sprecherin Kalia, räum bitte deinen Platz.«
Wieder erhob sich Savara. Ihre Lippen waren zu einer entschlossenen Linie zusammengepresst. Sie wartete, bis Kalia ihre frühere Position eingenommen hatte, dann reckte sie das Kinn.
»Als Lorkin beschloss, ins Sanktuarium zu kommen, hatte ich meine Zweifel, was ihn betraf«, begann sie. »Warum sollte ein Magier aus einer kultivierten, mächtigen Nation den Wohlstand und die Macht opfern, die er besaß, und die Einschränkungen akzeptieren, die wir ihm auferlegen würden? Er wusste wenig über uns. Es war ein großes Risiko, das er eingegangen ist, als er darauf
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