Sonea - Die Heilerin: Roman
war, die Schärpe zu verknoten, ging sie zu Sonea hinüber. Die Schwarzmagierin streckte die Hände aus und legte sie links und rechts an Lilias Kopf.
Noch nie zuvor hatte ein Schwarzmagier Lilias Gedanken gelesen. Nun, es hatte auch kein gewöhnlicher Magier jemals ihre Gedanken gelesen. Ihre Lektionen an der Universität hatten es gelegentlich erforderlich gemacht, dass ein Lehrer in ihren Geist eindrang, aber man brachte den Novizen bei, ihre Gedanken hinter imaginierten Türen zu verbergen. Wenn eine Person es aus freien Stücken zuließ, dass ihre Gedanken gelesen wurden, sollten die hinter den Türen versteckten Erinnerungen hervortreten, so dass der Gedankenleser sie sehen konnte.
Dies war etwas anderes. Sofort nahm Lilia die Präsenz der älteren Frau in ihrem Geist wahr. Aber wie in weiter Entfernung, als höre sie Stimmen durch eine Mauer. Dann spürte sie etwas, das ihre Gedanken beeinflusste. Sie konnte den Willen dahinter nicht spüren, also zeigte ihr instinktiver Versuch, sich dem zu widersetzen, keine Wirkung. Sie zwang sich nachzugeben und beobachtete, wie die Erinnerungen an die vergangene Nacht wiederkehrten.
Verlegenheit und Furcht machten sich in ihr breit, als sie sich an Nakis Kuss erinnerte, aber sie konnte bei Sonea keine Missbilligung wahrnehmen. Ihre Erinnerungen waren jetzt etwas weniger vage, da jemand anderer sie betrachtete, aber es gab Zeitspannen, die undeutlich waren.
Eine dieser Zeitspannen betraf die Stunden, nachdem Lilia sich neben Naki gelegt und sie den Wein getrunken hatte. Ihre Gedanken waren mörderisch gewesen, rief sie sich beschämt ins Gedächtnis. Aber sie erinnerte sich nicht daran, tatsächlich jemanden ermordet zu haben. Es sei denn, in ihren Träumen. Aber waren es Träume?
Was war, wenn sie Nakis Vater ermordet hatte, während sie einen von Wein und Feuel herbeigeführten Tagtraum gehabt hatte?
Was, wenn ihrer beider Experiment funktioniert und sie tatsächlich schwarze Magie aus einem Buch erlernt hatte?
– Oh, das habt Ihr ganz gewiss getan, erklang Soneas Stimme in ihrem Kopf. Es wird für unmöglich gehalten. Nicht einmal Akkarin glaubte, dass es möglich sei. Aber es hat mindestens einen anderen Novizen in der Geschichte gegeben, der schwarze Magie ohne die Hilfe eines anderen Magiers erlernt hat, und die Magier jener Zeit müssen einen Grund gehabt haben für ihre Entschlossenheit, alle Schriften darüber zu zerstören. Bedauerlicherweise ist der Umstand, dass Ihr unsere Vermutung widerlegt habt, keine Leistung, die irgendjemand wohlwollend betrachten wird. Warum habt Ihr es versucht, obwohl Ihr wusstet, dass es verboten war?
– Ich weiß es nicht. Ich habe mich einfach Naki angeschlossen. Sie hat mir gesagt …
Sie hatte Lilia gesagt, dass sie ihr vertraue. Würde sie ihr jemals wieder vertrauen?
Plötzlich wurde ihr das ganze Ausmaß von Verlust und Schock bewusst, und sie brach in Tränen aus. Soneas Berührung verschwand aus ihrem Kopf und verlagerte sich auf ihre Schultern, die die ältere Frau sanft, aber energisch massierte, während Lilia sich mühte, ihre Fassung wiederzufinden.
»Ich werde nicht behaupten, alles werde wieder gut werden«, sagte Sonea seufzend. »Aber ich denke, ich kann sie überzeugen, dass es nicht direkt vorsätzlich geschah, und sie dazu bewegen, eine mildere Strafe zu verhängen. Doch das wird davon abhängen, woran Naki sich erinnert.«
Eine mildere Bestrafung? Lilia schauderte, als sie sich daran erinnerte, was man sie im Geschichtsunterricht gelehrt hatte. Akkarin wurde nur deshalb in die Verbannung geschickt, weil die Gilde nicht wusste, ob sie ihn besiegen konnte. Anderenfalls hätten sie ihn hingerichtet. Aber schließlich hatte er Menschen mit schwarzer Magie getötet. Ich habe das nicht getan … hoffe ich.
Wenn sie es nicht getan hatte, würde Sonea keine Beweise in Nakis Geist entdecken. Plötzlich wünschte Lilia sich dringend, dass Sonea zu ihr gehen und es herausfinden würde. Das letzte Verlangen zu weinen verschwand.
»Geht es Euch jetzt wieder gut?«, fragte Sonea.
Lilia nickte.
»Bleibt hier.«
Das Warten war eine Folter. Als Sonea endlich zurückkam, mit Schwarzmagier Kallen und zwei weiteren Magiern, war ihre Miene grimmig.
»Sie hat den Tod ihres Vaters nicht mit angesehen«, berichtete ihr Sonea. »Noch findet sich in ihrem Geist irgendein Beweis dafür, dass Ihr ihn getötet habt, abgesehen von der Art seines Todes und des Bluts an Euren Händen. Beides könnte Zufall sein.«
Lilia
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