Song of Blood (German Edition)
sich zu katzenhaften Schlitzen. Als Mathis mit einem leisen Knurren die Oberlippe emporzog, blitzten die weißen Fangzähne auf. Far wurde unruhig. Was hatte Mathis vor? Ein etwa vierzigjähriger Mann tauchte vor ihnen auf und ging mit ruhigen Schritten direkt auf Mathis zu. Genau vor dem Vampir kniete sich der Mann auf den Boden und legte den Kopf zur Seite. Ehe Far etwas sagen konnte, hatte Mathis bereits seine Zähne in die Schlagader seines Opfers geschlagen. Unwillkürlich ruckte Fars Hand zur DV8 in seinem Gürtel, doch als ihm bewusst wurde, was er da tat, ließ er die Waffe schnell wieder los. Über den Stoppelhaarschnitt seines Opfers hinweg sah ihn Mathis belustigt an und schien das Dilemma, in dem er steckte, regelrecht zu genießen. Far wurde wütend. Was musste ihn Mathis so provozieren? Abrupt ließ der von dem Menschen ab und blickte dem Mann kurz in die Augen. Mit einem leisen Seufzen sackte sein Opfer auf dem Boden zusammen. Genüsslich leckte sich Mathis über die blutverschmierten Lippen.
„Hilf mir, ihn in die Sträucher dort zu tragen“, forderte er Far auf. Schweigend fasste der mit an und sie betteten den Schlafenden unter einem Holunder ins Gras.
„Morgen früh wird er aufwachen und denken, dass er auf einer Feier zu viel getrunken hat“, erklärte Mathis ruhig und verwandelte sich in das attraktive Geschöpf zurück, als das Far ihn kennengelernt hatte. Herausfordernd sah Mathis ihn an und zog ihm die DV8 aus dem Gürtel. Einen Moment lang betrachtete er die matt glänzende Waffe in seiner Hand.
„Warum hast du sie nicht benutzt?“, fragte er Far und reichte ihm mit einer spöttischen Geste die Waffe zurück. Far blieb ihm die Antwort schuldig, denn er war nach wie vor verärgert. Mathis lachte kurz auf.
„Eine weitere Lektion, mon ami. Du kannst nicht gleichzeitig ein Officer der SEED und ein Vampir sein. Man gerät dabei leicht in Gewissenskonflikte, nicht wahr? Man hat dir beigebracht, die Menschen vor solchen Angriffen zu schützen. Und jetzt hast du bei diesem Anblick selbst Hunger bekommen. Und allein die Tatsache, dass du gerade erst Floreans Blut getrunken hast, hat dich davon abgehalten, an dieser Mahlzeit teilzuhaben.“
Far war beschämt. Mathis hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Er hatte tatsächlich Hunger in sich verspürt. Davon abgesehen, dass er Mathis zu seinen Freunden zählte und auf die schoss man schließlich nicht so einfach. Himmelblaue Augen sahen ihn mitleidig an.
„Florean und ich sind geborene Vampire. Unser Gewissen ist schlichtweg ein anderes als das deine. Mit deinen Problemen hatten wir zum Glück nie zu kämpfen. Du magst wütend auf mich sein, Far, aber das hier gehörte zum Unterricht dazu. Eine durchaus wichtige Lektion, cela est vrai. Es tut mir trotzdem leid. Leid für dich.“
„Auf solche Lektionen kann ich gut verzichten“, sagte Far unbehaglich.
„Natürlich. Wer mag schon die unangenehmen Dinge des Lebens? Florean war tatsächlich viel zu nachlässig mit dir, mon ami. Anstatt sich bloß in den Federn zu wälzen, hätte er dir lieber beibringen sollen, wie ein Vampir wirklich lebt.“
Eigentlich wollte Far seinen Liebsten verteidigen, aber leider musste er Mathis recht geben. Songlian hatte ihm lediglich gezeigt, wie man die Gedanken einer anderen Person beeinflusste. Ansonsten hatte er ihn stets wie einen normalen Menschen behandelt.
„Mach ihm keine Vorwürfe, mon ami. Ich bin sicher, dass Florean dich mit seiner manchmal etwas verqueren Logik schützen wollte. Ich kann sogar verstehen, warum.“
„Mathis, hast du jemals Menschen für Blut getötet?“, fragte Far nach einem Moment leise.
„Oui, anfangs, als ich noch andere Ansichten hatte. Und später, weil ich dazu gezwungen war“, gab der ungerührt zu.
„Gezwungen? Wer hat dich gezwungen?“ Fars Neugierde kannte keine Grenzen.
„Mein Überlebenswille hat mich gezwungen, Baxter. Es war während der Sermaine Sanglante, der blutigen Maiwoche 1871. Das Gebäude, in dem ich mich befand, stürzte unter dem Beschuss von Petroleumbomben ein. Ich war zusammen mit mehreren Menschen verschüttet. Das war keine angenehme Erfahrung. Die Enge war ziemlich erdrückend.“ Mathis schüttelte sich bei dieser Erinnerung.
„Wir hatten nichts als unsere bloßen Hände, um uns ins Freie zu graben. Es dauerte allerdings zu lange. Ich wäre vertrocknet, hätte ich sie nicht getötet.“
Irgendwie klang das ziemlich gruselig. Far versuchte sich staubige Dunkelheit auszumalen, in
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