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Song of the Slums

Song of the Slums

Titel: Song of the Slums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harland
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Zweifel vertreiben konnte.
    Sie versuchte an etwas Tröstendes zu denken. Musik war für sie immer ein Trost, wenn sie angespannt war. In Gedanken ging sie eine Haydn-Sonate durch, die sie gerade zu spielen gelernt hatte. Und danach einige ihrer alten Lieblingsstücke: eines von Ravelli und dann noch ein Bach-Präludium.
    Es nutzte nichts; die Anwesenheit des missmutig dreinblickenden Verrol lenkte sie zu sehr ab. Es schien so, als ob die Situation ihn persönlich demütigte. Und obgleich er seine Gedanken, wann immer sie ihn ansah, zu verbergen suchte, wusste sie genau, was er dachte. Ein Diener mit Stolz! Sie fühlte sich schon ohne sein Zutun gedemütigt genug.
    »Ich suche jetzt jemanden, den ich fragen kann«, sagte er endlich.
    »Nein. Wenn schon stelle ich die Fragen.«
    »Sie können nicht für immer hier stehen.«
    »Ich verbiete es.«
    Er hatte das
Miss
wieder weggelassen, aber Astor brachte es nicht über sich, die Anrede zu erzwingen. Sie wusste ja ebenso wie er, dass sie eigentlich nur noch versuchte, Haltung zu bewahren. Was konnte sie sonst auch tun? Vielleicht würde sie
wirklich
für immer hier stehen und warten und warten. Verrol sank wieder in sich zusammen, aber er hatte einen gefährlichen Zug um den Mund, geradezu animalisch. Wie ein Wolf.
    Astor gab es auf, sich von der inneren Musik trösten zu lassen und konzentrierte sich nun auf ihre unmittelbare Umgebung. Sie betrachtete angestrengt die Gemälde, die Kandelaber, die geschnitzten Stuhlbeine, die Falten der Vorhänge. Nach einer weiteren halben Stunde hatte sich jedes Detail der Möbelstücke in ihr Hirn eingebrannt … und sie hasste sie alle. Alles in diesem Raum erschien ihr wie ein persönlicher Feind.
    Und noch immer ließ sich niemand blicken. Ihre Beine prickelten und schmerzten vom langen Auf-der-Stelle-Stehen. Es kam ihr vor, als würde sie sich nie wieder bewegen können. Es war, als stünde sie am Rand eines Abgrunds und könnte durch jede noch so kleine Bewegung augenblicklich abstürzen. Nur wenn sie weiter still an diesem einen Fleck stehenbliebe, würde ihr nichts geschehen.
    Sie fühlte sich wie betäubt, wie in einer Art Trance, sie schwankte hin und her, doch ihr Verstand war eingeschlafen, und sie spürte nicht mehr, wie ihre Beine langsam unter ihr nachgaben. Glücklicherweise hatte Verrol sie im Auge behalten. Er sprang ihr zur Hilfe und fing sie gerade noch auf, bevor sie den Boden berührte.
    »Geht es Ihnen gut?«, hörte sie ihn fragen, doch seine Stimme schien von sehr weit weg zu kommen

• 4 •
    Für einen Augenblick entspannte sie sich in seinen Armen.
    »Geht es Ihnen gut?«, hörte sie ihn wieder fragen.
    Die Nähe seines Gesichts war beunruhigend. Nein, so ging das nicht.
    »Lass mich aufstehen«, sagte sie.
    Er half ihr, sich aufzurichten. Ihre Beine waren zwar zittrig, aber sie konnte ohne Hilfe stehen. Noch immer hatten seine Hände ihre Taille umschlossen und hielten sie auf eine sanfte Weise sehr fest – ziemlich selbstbewusst für einen Diener. Ja, tatsächlich fast ein wenig anmaßend. Sie schüttelte den Kopf, machte sich los und brachte einen züchtigen Abstand zwischen sich und ihn.
    »Sie sind ohnmächtig geworden«, erklärte er.
    »Nein.« Ganz automatisch stritt sie das ab.
    »Ich muss jemanden finden, der uns Auskunft geben kann. Die können uns doch hier nicht einfach so stehenlassen!«
    Astor zog die Stirn in Falten. Das
uns
klang sehr eigenartig in ihren Ohren, als ob er sich auf eine Stufe mit ihr stellte.
    »Natürlich nur, wenn Sie es nicht wieder verbieten«, fügte er hinzu.
    Ihre Haltung geriet ein wenig ins Wanken. »Ich verstehe es auch nicht. Ja, geh fragen!«
    Sofort machte er sich auf den Weg und überließ Astor ihren eigenen Gedanken.
    Sie wusste nicht, was sie von Verrol halten sollte. Er konnte sich zwar wie ein Diener benehmen, aber er wirkte trotzdem nicht wie einer. Als sein Gesicht gerade eben dem ihren so nah gekommen war, hatte sie ganz kurz das vage Gefühl, ihn schon einmal gesehen zu haben. Zweifellos war er in Dorrin Estate aber kein Hausdiener gewesen, denn sie konnte sich nicht erinnern, wann sie ihn in den zwei Jahren, seit sie und ihre Mutter von London dorthin gezogen waren, zu Gesicht bekommen haben könnte.
    Ein plötzliches Kreischen unterbrach ihre Gedanken. Es stammte nicht von Verrol, aber vermutlich war er der Grund des Kreischens. Ohne nachzudenken, lief sie los. Was hatte er bloß gemacht? Sie lief die Halle entlang zurück zu der breiten

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