Song of the Slums
mir egal.«
»Es sind nicht nur die zweihundert Meilen, die wir mit dem Luftschiff zurückgelegt haben. Denn Sie müssten lauter Umwege machen, um den Industrieruinen, den Bergwerken und dem vergifteten Brachland auszuweichen. Wenigstens dreihundert Meilen.«
»Na und? Du kannst mich führen.«
»Nein danke.«
»Bitte?«
»Ich werde Sie nicht in den sicheren Tod führen. Es ist eine gefährliche Welt da draußen. Sie haben keinerlei Ahnung davon.«
»Ich bin stärker, als ich aussehe.«
»Sie würden niemals überleben. Sie waren ja immer wohlbehütet.«
Astor starrte ihn an. »Woher willst du das wissen?«
»Ich habe Sie beobachtet.«
»Wann?«
»Während der zwei Jahre im Haushalt Ihres Stiefvaters.«
Astor schüttelte den Kopf. »Also, ich habe dich nicht einmal bemerkt.« Was fast der Wahrheit entsprach.
»Natürlich nicht. Ich bin ja nur ein Diener.«
»Ja, das bist du. Und daher erteile ich dir jetzt einen direkten Befehl. Du
wirst
mich nach Dorrin Estate zurückbringen.«
Er deutete spöttisch eine Verbeugung an. »Ich fürchte, ich muss aufs Höflichste ablehnen zu gehorchen.«
Astor blieb abrupt stehen, als sie begriff, dass er
tatsächlich
ablehnen konnte zu gehorchen, denn es gab keine höhere Autorität, an die sie sich wenden konnte. Den Swales konnte sie ihren Plan ja nun nicht entdecken. Es war also schlicht und einfach sein Wille gegen den ihren – und ein Blick in seine stahlgrauen Augen bestätigte ihr, dass sie niemals gegen ihn würde gewinnen können.
Langsam wurde ihr ihre eigene Hilflosigkeit bewusst. Sie sah sich um – das winzige enge Zimmer, die kahlen Wände und das schmale kleine Bett. Schrecklich, schrecklich, schrecklich!
Dies sollte also ihre Zukunft sein. Nicht für einen Tag oder eine Woche oder einen Monat, sondern
für immer
. Sie war dazu verurteilt, ihr Leben als unbedeutende verarmte Hauslehrerin zu fristen. Ihre Zukunft war keine Zukunft, sondern eine endlose hoffnungslose Öde. Eine Flut von Emotionen hob ihre Brust, und sie wusste, sie musste Verrol so schnell wie möglich aus dem Zimmer bekommen.
»Geh!«, befahl sie. »Sofort!«
Er erstarrte sichtbar, als er ihre schrille Stimme hörte. Er verstand nicht, was vor sich ging, und sie wollte auch nicht, dass er es verstand.
»Geh! Verlasse mein Zimmer! Jetzt!
Sofort!
«
Sie ging auf ihn zu, bereit ihn aus dem Zimmer zu schubsen, aber er drehte sich schon um und ging freiwillig. Kaum war er aus dem Zimmer, knallte sie die Tür hinter ihm zu, lief in drei Schritten zum Bett, warf sich mit dem Gesicht nach unten darauf und brach in bittere unkontrollierbare Tränen aus.
• 6 •
Astor war vor Erschöpfung einfach eingeschlafen. Als sie später aufwachte, war es dunkel, sie zog ihre Schuhe aus, kroch angezogen unter die Bettdecke und fiel sofort in einen unruhigen Schlaf. Im Traum war sie wieder zurück im London ihrer Kindheit in der Shoe Lane 28. Das Esszimmer und das Klavierzimmer … der Garten mit seinem dichten Efeu … die gepflasterten Wege … das leicht verwilderte Gras in den Ecken. In ihren Träumen war das Haus stets erfüllt von Musik und der warmen sanften Gegenwart ihres Vaters.
Sie erwachte am nächsten Morgen bei dämmrigem trübem Licht, und als sie nach ihrem Nachttisch reichen wollte, war keiner da. Und das Fenster war auf der falschen Seite, sie lag auf der falschen Seite, einfach
alles
schien verkehrt herum.
Doch dann schlug die kalte Realität zu … so kalt wie die Luft, die sie umgab, so schlicht wie das einfache Mobiliar um sie herum. Es war alles wahr. Sie ging noch einmal durch, was sich gestern zugetragen hatte, in der Hoffnung, etwas zu entdecken, was sie übersehen hatte, irgendeine Hintertür. Es war ihr egal, dass sie nicht verlobt war, Lorrain Swale war ihr egal, ebenso ein Leben in Reichtum und Luxus. Sie wollte einfach nur ihr Leben zurück, so wie es bis vorgestern gewesen war.
Stunde um Stunde lag sie da und zermarterte sich den Kopf. Es
musste
einen Ausweg aus dieser Katastrophe geben, aber sie konnte keinen finden.
Sie lag noch immer im Bett, als jemand an die Tür klopfte.
»Geht weg«, rief sie.
»Ihre drei Schüler erwarten Sie im Schulzimmer.«
Es war Verrol – der Diener, der ihren Befehlen nicht gehorchte. Er hatte sich geweigert, sie nach Dorrin Estate zurückzuführen, und jetzt wollte er sie dazu bringen, sich wie eine Hauslehrerin zu verhalten. Ihr lief vor Zorn fast die Galle über, als sie sich klar machte, dass er sie nur auf
sein
Niveau
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