Song of the Slums
verliehen.«
»Ja, und er blieb arm wie eine Kirchenmaus.« Wieder ließ Phillidas sein dröhnendes Gelächter hören, ein Gebrüll, das seinesgleichen suchte.
Astor wusste, dass sie geschlagen war; schlimmer ging es nimmer. »Und warum hat mein Stiefvater mich hier zurückgelassen?«, fragte sie mit hohler Stimme.
»Wir haben ihm einen Gefallen getan und ihn von einer Last befreit, indem wir Sie als Hauslehrerin für unsere Kinder engagiert haben.«
• 5 •
Astor war wie gelähmt. Sie tat nun, was ihr gesagt wurde, und folgte, wohin sie geführt wurde. Ihre Welt war zusammengebrochen, und sie war zu tief getroffen, um dagegen anzukämpfen.
Verrol übernahm das Kommando, erledigte die Anweisungen der Dienerschaft und geleitete Astor. Er bestand darauf, die Harfe selbst zu tragen, während Swale-Bedienstete sich um das übrige Gepäck kümmerten.
Sie fuhren mit einem Dampffahrstuhl nach unten: einer Plattform, über die ein Drahtkäfig gestülpt war, und die von einem Stockwerk zum nächsten keuchte und ächzte. Die Etage, auf der sie den Fahrstuhl verließen, unterschied sich sehr von den luxuriösen oberen Stockwerken. Die Beleuchtung war weniger hell und die Flure viel schmaler, den Boden bedeckten nackte Dielen statt samtener Teppiche.
Endlich riss jemand eine Tür auf, und sie wurden in Astors Zimmer geführt. Ihr Zimmer in Dorrin Estate war viermal so groß gewesen. Verzweifelt blickte sie sich um und betrachtete den einfachen Holzschrank, den Stuhl und den kleinen Tisch, das Eisengestell des Bettes, den grobmaschigen Läufer und die schäbige Tapete. Durch ein winziges Fenster fiel trübes gelblich-braunes Licht ins Zimmer.
»Das ist ja abscheulich«, stöhnte Astor. »Ich
kann
hier nicht bleiben.«
Verrol setzte die Harfe in einer Zimmerecke ab, während die anderen Bediensteten das Gepäck hinstellten und das Zimmer unter Verbeugungen verließen.
»Sie verbeugen sich vor Ihnen«, stellte Verrol fest. »Als Hauslehrerin stehen Sie noch immer über den einfachen Bediensteten.«
»Soll das etwa ein Trost sein?«, fauchte sie ihn an.
»Lassen Sie Ihre Wut nicht an mir aus.«
»Für dich ist das ganz einfach, denn du bist es ja gewohnt, so zu leben.«
»Auch ich musste das lernen.«
»Na und? Ich habe jedenfalls nicht vor, das zu lernen. Niemals.«
»Meinen Sie denn, Sie hätten eine Wahl?«
Astor zog ein finsteres Gesicht und setzte sich auf die Bettkante. »Ich kann einfach nicht glauben, dass sie Bescheid wusste.«
»Wer?«
»Na, meine Mutter natürlich. Sie
kann
mir doch nicht die ganze Zeit etwas vorgemacht haben.«
»Vielleicht hat sie sich selbst etwas vorgemacht.«
»Sich selbst?«
»Ja, vielleicht so sehr, dass sie selbst daran geglaubt hat. Ich weiß jedenfalls, dass sie vor anderen Leuten mit Ihrer Verlobung angegeben hat. Ich hatte da immer meine Zweifel.«
»Pah!
Du!
« Astor wusste, dass sie keine Familiengeheimnisse vor Dienstboten ausplaudern sollte, aber sie konnte sich einfach nicht zurückhalten. »Sie glaubt, Marshal Dorrin ist der wunderbarste Mann auf Gottes Erdboden.«
»Sie ist ja auch mit ihm verheiratet. Für Sie ist er nur der Stiefvater.«
»Was soll das denn heißen?«
»Er hat Ihnen gegenüber nicht die Gefühle, die ein richtiger Vater hat.«
»Der fühlt überhaupt nichts. Du hast Phillidas doch gehört:
ihn von einer Last befreit
. Der Marshal kann es einfach nicht ertragen, wenn meine Mutter und ich zusammen sind.«
»Das kommt vor.«
»Er will sie ganz für sich alleine. Ich hätte wissen müssen, dass es so kommen würde.«
»Ja, das hätten Sie.«
Astor schnaubte. »Du bist wohl ein ganz schöner Zyniker, was?«
»Es gibt viele Dinge, die ich zynisch betrachte.«
Wieder hatte sich der Schleier über sein Gesicht gelegt. Wenn er eine Geschichte zu erzählen hatte, wollte sie sie jedenfalls nicht hören. Sie sprang vom Bett auf und begann zwischen Schrank und Tisch hin- und herzugehen.
»Ich werde ihn
zwingen
, mich zurückzunehmen«, schwor sie. »Ich werde auf seiner Türschwelle erscheinen und mich nicht vertreiben lassen.«
»In Dorrin Estate?«
»Ja.«
»Und wie wollen Sie da hinkommen?«
»Ich kann laufen.«
»Das könnte komplizierter sein, als Sie denken.«
Astor starrte aus dem Fenster in das dämmrige Licht, das inzwischen durch den Smog tiefbraun war. »Nicht heute Nacht. Ich muss erst Vorbereitungen treffen.«
»Wissen Sie denn, wie weit der Weg ist?«
Astor gefiel es nicht, von einem Diener ausgefragt zu werden. »Das ist
Weitere Kostenlose Bücher