Song of the Slums
in ihrer Musik; zu anderen Zeiten wirkte sie einfach abwesend, selbst wenn sie neben den anderen saß.
Eines Abends nach dem Essen fand Astor wieder etwas Merkwürdiges über Mave heraus. Die Proben lagen bereits zwei Stunden zurück, aber Astor hatte ein Blechbecken gefunden, das sie ausprobieren wollte. So kehrte sie in der Dunkelheit auf die Probebühne zurück – und machte eine unerwartete Entdeckung. Denn dort, genau hinter den Drums an der Rückwand der Bühne, lag Mave – fest schlafend.
Sie hatte nur also getan, als ob sie abends zu ihrer eigenen Gang ging. Zusammengerollt lag sie da und hielt ihr Melodium in den Armen wie einen Geliebten.
Astor wusste nicht, ob dieser Anblick sie traurig oder ärgerlich machte. Und während sie da stand und auf Mave herabblickte, öffnete die ihre Augen – riesige runde Augen, die eine ganz eigene Leuchtkraft im Dunklen zu besitzen schienen.
»Ich brauche Zeit für mich allein«, gab das Mädchen als Antwort auf Astors unausgesprochene Frage. »Die Soapies gehen mir auf die Nerven.«
»Wie lange machst du das schon?«
»Seit ich der Band beigetreten bin.«
»Ist es denn nicht kalt?«
»Ein bisschen Kälte macht mir nichts aus.«
»Du wirst ganz steif und wund werden, wenn du hier einfach auf der harten Erde liegst«
»Dann werde ich eben steif und wund.«
Sie scheint gerne zu leiden, dachte Astor, sagte es aber nicht. »Ich bin mir sicher, du könntest in unserem Unterschlupf schlafen«, bot sie an.
»Ich komme nicht gut klar mit anderen.«
»Es wäre aber sicherer als hier zu schlafen.«
»Ich habe Albträume. Ich schreie im Schlaf.«
»Dann suchen wir dir eben einen ganz abgesonderten Schlafplatz. Wo dich niemand stört und du niemanden stören kannst.«
Mave schien ins Schwanken gekommen zu sein, doch sie hatte sich noch nicht entschieden. Da fiel Astor ein weiterer guter Grund ein. »Wenn du bei uns schläfst, haben wir mehr Zeit für die Proben. Dann soll Ollifer auch hier schlafen.«
Maves Stimme veränderte sich. »Dann könnten wir solange proben, wie wir wollen …«
»Das macht doch Sinn, oder?«
»Ich
brauche
keine anderen Menschen …«
»Nein, aber in diesem Fall …«
»Gut. Dann probiere ich es aus.«
Astor wartete, während Mave aufstand und den Riemen des Melodiums über ihre Schulter legte. »Weißt du, eigentlich kommst du mit
manchen
Leuten aber gut klar. Mit mir und Verrol und Purdy und Ollifer. Findest du nicht?«
Ein ungewolltes kleines Lächeln erhellte Maves Gesicht. »Ja, kann schon sein.«
Wenn sie lächelte, war sie wunderschön. Ihr Kinn war zu klein, die Form ihres Gesichtes war irgendwie ganz falsch, und die schwarz gemalten Umrandungen um ihre Augen waren völlig bizarr. Und trotzdem war sie auf eine verblüffende Art schön, so wie ein ungezähmtes Tier. Bislang war Astor das nicht einmal aufgefallen. Und es war eine Schande, dass es vermutlich auch niemand anders jemals wahrnehmen würde.
Einen privaten Schlafplatz für Mave zu finden, stellte sich als einfach heraus; unter den Eisenbahnschwellen gab es diverse kleine separate Winkel. Am nächsten Morgen überredete Astor Ollifer dazu, es Mave gleichzutun. Und am Nachmittag ergab sich noch ein weiterer Grund, das Probenpensum zu erhöhen, denn Reeth tauchte auf und wirkte sehr selbstzufrieden.
»Ich habe hart für euch gearbeitet«, erzählte er der Band und gestikulierte dramatisch mit seinem einen Arm. »Habe mit vielen gesprochen. Und euer erstes Engagement außerhalb von Slumtown festgemacht.«
»Wo? Wann?«
»Seid morgen Abend um sechs Uhr bereit. Ich komme euch abholen.«
• 39 •
Als Reeth kam, um die Band zu ihrem Auftritt abzuholen, war auch die Hälfte der Gang erschienen. Sie trugen Astors Drums und marschierten quer durch Slumtown und hinaus in die Straßen von Brummingham.
Der Veranstaltungsort befand sich in einem Wohngebiet von Fabrikarbeitern. Er stellte sich als ein gefliester Bereich heraus, über dem ein Regendach aus Leinwand hing; auf zwei Seiten war das Terrain durch Gebäude begrenzt. Vor den Gebäuden wurden Snacks und Getränke verkauft. Eine Menge von hundert oder mehr Leuten saß auf hölzernen Bänken gegenüber der Bühne.
»Das ist ja eine Trinkhalle«, sagte Granny.
»Ja«, stimmte Reeth zu, »aber an den Wochenenden veranstalten sie Konzerte.«
Die Wirtin, eine energische Frau mit nackten muskelbepackten Armen, hastete auf ihn zu und rasselte eine ganze Liste von Anweisungen herunter. Reeth nickte.
»Ihr sollt sofort
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