Songkran
Dragon
Dienstagabend
„Die Preise für Schwalbennester sind wieder ins Unermessliche gestiegen“, beklagte Mr. Wang genervt.
Ihm gehörte das Restaurant The Blue Dragon auf der Yaowarat Road im Zentrum von Chinatown. Mit einem Zahnstocher machte er Jagd auf ein Stück Pekingente, das sich zwischen seinen Originalvorderzähnen eingenistet hatte. Das rückwärtige Gebiss klebte fest im Zahnbett. Der Zahnersatz bestand aus einer mehrteiligen, herausnehmbaren Prothese, die sein Zahnarzt vor einigen Jahren angefertigt hatte. So schnell dürfe er nicht sterben, da sonst das viele Geld für das Gebiss umsonst gewesen sei, witzelte er immer mit seiner Lieblingsschwiegertochter. Das Stück Ente lag jetzt auf der Zunge. Er drehte seinen Kopf zur Seite, spitzte die Lippen und spuckte es auf den Boden.
„Woher kamen die Schwalbennester von heute Abend?“, fragte Sakkarin mehr aus Höflichkeit.
„Borneo“, antwortete Wang leise, so dass Sakkarin ihn kaum verstehen konnte.
„Sarawak?“
„Um diese Jahreszeit, sind die Höhlen dort voll von Nestern.“
Sakkarin nickte. Er wusste, dass der alte Geizhals ihn mit der Litanei über teure Vogelnester milde stimmen wollte. Und das zu Recht. Die Unzulänglichkeiten von Wangs Auftragsmördern stanken zum Himmel. Bis dato hatte ihre Zusammenarbeit reibungslos funktioniert. Wollte Sakkarin einen konkurrierenden Jaopho liquidiert sehen, beauftragte er Mr. Wang, sich darum zu kümmern. Kurze Zeit später richteten dessen Killer ein Blutbad an. Wollte ein Rivale Sakkarin an den Kragen, schickte Mr. Wang seine Totschläger ins Rennen. Ohne die Hilfe des Alten und seiner Killer wäre er keine 40 Jahre alt geworden.
„Leider müssen wir über etwas Ernstes sprechen“, wechselte Sakkarin das Thema.
„Sie haben recht, alter Freund“, stimmte Mr. Wang zu. Seine knöchernen Finger der rechten Hand umklammerten fest den Griff seines Rollators, der dicht neben seinem Stuhl stand. An der Decke des Raumes, in dem die beiden Männer alleine saßen, hingen rote Lampions. Das Zimmer war nicht schalldicht, so dass das Lachen und Gezänk der chinesischen Gäste des Nachbarraums die Zweisamkeit dieser gefährlichen Männer störte. Grundsätzlich wurde dieses geräumige Esszimmer für private Zwecke genutzt. Auch wenn es die meisten Tage im Jahr leer blieb, und die Gäste vor dem Restaurant Schlange standen, wurde es nicht für das Publikum frei gegeben. Mr. Wangs Abneigung gegenüber fremden Menschen, vor allem Schwarzen und Arabern, wurde hier deutlich.
„Muss sich der Innenminister wegen dem Debakel in Bang Yai Sorgen machen?“, fragte Sakkarin, dessen Blick auf Mr. Wangs Rollator fiel. Der alte Chinese ruckelte leicht an seiner Gehhilfe. Sakkarin wischte sich mit einer Stoffserviette süß-saure Soße von seinem Mund. Die Reste des reichhaltigen Mahls türmten sich in Schüsseln, Tellern, Gläsern und Terrinen auf der runden Tischplatte vor ihnen.
„Nein.“ Mr. Wang schüttelte bestimmt den Kopf und ließ den Griff des Rollators los.
„Und wie geht es jetzt weiter?“ Sorgfältig faltete Sakkarin die Serviette und legte sie auf die kleine Keramikschale, aus der er Haifischflossensuppe gelöffelt hatte.
„Wir müssen abwarten.“
„Wir haben nicht ewig Zeit.“
Der Alte nickte, nahm die kleine Schelle in die Hand und klingelte. Wie aus dem Nichts erschienen drei junge Frauen, die begannen, das Geschirr abzuräumen. Ängstlich schlichen sie durch den Raum, um jeden zusätzlichen Laut zu vermeiden. Sein Ruf als autoritärer Patriarch eilte Mr. Wang voraus. Die drei jungen Frauen kannten ihren Boss nur vom Hörensagen, da der Alte seit über einem Jahr nicht mehr in seinem Restaurant The Blue Dragon gewesen war. Misstrauisch verfolgten Mr. Wangs Schlitzaugen die emsigen Bemühungen der Frauen. Dann verschwanden die Drei durch die Schwingtür in Richtung Küche.
„Haben Sie noch einmal mit Thanee gesprochen?“, unterbrach Wang das kurze Schweigen.
„Seit der Schießerei nicht mehr, alter Freund“, antwortete Sakkarin abwinkend.
„Warum kümmert sich nicht Ihr Protégé Porphant um ihn? Jetzt ist er doch sogar Innenminister.“
„Wenn das so einfach wäre. Wir müssen Porphant Zeit geben, sich in seinem Amt zurecht zufinden. Sein Verhältnis zu diesem impertinenten Thanee ist angespannt, äußerst angespannt. Der ganze Kontakt zum Polizeichef läuft über mich.“
„Seit letztem Oktober?“
„Genau. Die beiden reden kaum noch miteinander.“
„Sie
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