Sonne, Schnee und Tote
Blick, den Imke Stroetman von der Abteilung Verkehrspolizei ihm
zuwarf, nachdem sie eine Sekunde zuvor auf dem Weg durch den Flur genau auf
Höhe seiner Tür stehen geblieben war, ließ auf Letzteres schließen.
„Du
warst nicht gemeint, Imke, keine Angst“, versicherte Kees schnell, aber die
Frau schüttelte nur den grau behaarten Kopf und verschwand danach wortlos.
Der
Groll auf Maartens hielt noch einige Minuten an, aber Kees bemühte sich den
Fokus darauf zulegen, dass ihm die Zeit davonlief. Er sammelte seine Gedanken
und dachte nach. Die Pläne hatte er gestern bei Van Houden angefordert und es
war offenbar großes Glück, dass er sie bereits jetzt in den Händen hielt. Für
gewöhnlich dauerte die Anfrage externer Dokumente Tage, manchmal gar Wochen.
Diesmal lagen sie bereits einsehbar auf seinem Schreibtisch. Er hatte sie
obligatorisch angefordert, da er nach einem bislang unbekannten Hinterausgang
oder Ähnlichem suchte, den zum Beispiel Karim benutzt haben konnte, um sich -
unbemerkt von der Polizei - aus dem Staub zu machen.
Kees
entrollte den ersten Plan, fixierte ihn mit einem Locher, einem Behälter voller
leerer Kugelschreiber, dem Aktenordner zum aktuellen Mordfall und dem
Stempelhalter, von dem er überzeugt war, niemals auch nur einen der daran
hängenden Stempel zu benutzen. Er überflog die Grundrisszeichnung und hatte
zuerst Mühe, alles, was darauf vermerkt war, zu verstehen. Er war kein
Architekt oder Bauingenieur und so wirkten die vielen Linien, Zahlenangaben und
Notizen erst einmal völlig befremdlich. Es war ein bisschen so, als schaute er
auf eine verschlüsselte Schatzkarte, obwohl er zuerst einmal wissen wollte, auf
welcher Insel sich der verdammte Schatz überhaupt befand. In konkreten Fall
wäre Kees zufrieden gewesen, hätte er herausgefunden, um welches der zwei oder
drei Stockwerke des Kühlhauses es sich handelte und wo man den Haupteingang
vermerkt hatte. Nach intensiver Suche fand er immerhin einen Hinweis darauf,
dass es sich bei der Zeichnung um den Plan für das oberste Stockwerk des
Gebäudes handelte. Weil es in gewissem Maße unwahrscheinlich war, dass man auf
dieser Ebene und damit circa zehn Meter über dem Erdboden, einen geheimen Ein-
oder Ausgang angelegt hatte, rollte er das Papier zusammen und griff nach dem
nächsten Plan. Diesmal erwischte er einen Querschnitt des Gebäudes, der in der
Seitenansicht deutlich zeigte, dass unter dem Erdgeschoss tatsächlich eine
speziell gedämmte Kellerebene angelegt worden war. Deutlich zu sehen waren auch
der kleine sowie die beiden großen stockwerksübergreifenden Kühlräume. Außerdem
ging aus dieser Aufteilung hervor, dass die oberen Stockwerke - im Verhältnis
zu allem anderen - winzig und unstrukturiert war. Bei der Planung des
Kühlhauses musste vor allem in puncto Lagerfläche eine bestimmte Kapazität
zugrunde gelegt worden sein und der übrige Platz in Ebene eins und zwei, war
einfach der Form wegen dazu gebaut worden. Sie erfüllten augenscheinlich keine
spezielle Funktion. Ob Hadosh mit den Jahren eine Verwendung dafür gefunden
hatte, war nicht ersichtlich. Genauso wenig erschloss sich aus dem Plan, welche
Funktion zwei deutlich abgetrennte Räumlichkeiten im Keller erfüllten. Zwar
standen Notizen dabei, doch da es sich offenbar nur um eine Kopie des
Originalplans handelte, die bereits alt und ausgeblichen war, blieb das
Geschriebene für Kees unlesbar.
Ein
paar Mal noch ließ Kees den Blick über den ausgerollten Plan schweifen, dann
packte er ihn auf die Seite und entfaltete den Nächsten.
Diesmal
erwischte er endlich eine detaillierte Zeichnung des Erdgeschosses und die
bestätigte, was er bereits beim ersten Betreten des Gebäudes gedacht hatte.
Dieses Lagerhaus war ein wahres Labyrinth, eine Ansammlung an sich kreuzenden
Gängen, Laderampen, zig kleinen Büroräumen und diversen Zwischentüren.
Minute
um Minute verrann.
Vor
Kees Augen breitete sich das geplante Chaos aus, aber noch bevor er dazu kam,
sich in die Kleinigkeiten des Plans zu vertiefen, klingelte das Telefon.
Kurz
befürchtete er, es könnte ein Journalist sein. Dann aber besann er sich auf die
Tatsache, dass es außerhalb des Reviers nur eine Handvoll Menschen gab, die
seine Durchwahlnummer kannten, und nahm ab.
„Inspecteur,
Kees Bloemberg, Politiebureau Rotterdam-Noord?“
„Hallo.
Grüß dich, Kees. Hier is‘ Bert.“
„Bert,
schön zu hören, dass du deinen Alkoholrausch überlebt hast. Fühlte mich schon
ein bisschen unwohl,
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